Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ein einigendes Band
Der vor etwa 1000 Jahren lebende jüdische Gelehrte Saadja Gaon schrieb einmal: „Die Heiligung gewisser Festzeiten hat den Zweck, dem Menschen durch die für diese Tage vorgeschriebene Arbeitsenthaltung eine Zeit der Ruhe nach langer Mühe zu sichern, die er zur Erlangung von Kenntnissen und zu AndachtsÜbungen verwenden kann . . .“. Dieses jüdische Selbstverständnis wurde aber schon 900 Jahre vor Saadja von dem sonst so weisen Heiden Seneca (gestorben 65 nach Christus) gründlich mißverstanden, wenn er meinte, daß die Juden wegen des Sabbat: „septi-mam fere partem aetatis suae perdant vacando et multa in tempore urgentia non agendo laedan-tur“ („... den siebenten Teil ihres Lebens verlieren sie durch Nichtstun, und indem sie vieles, das jeweils dringend ist, nicht erledigen, schädigen sie es“).
Die Feiertagsruhe prägt jüdische Feste, und der gestreßte Mensch der Gegenwart hat für dieses Element der jüdischen Religion wohl leichter Verständnis als ein Seneca, der, obwohl ein Zeitgenosse des Nero, in einer wohl geruhsameren Zeit lebte. Die Ruhe am Festtag ist für NichtJuden immer schon am auffälligsten gewesen. Das ist nicht zuletzt deshalb so, weil es ganz allgemein nicht leichtfällt, das Selbstverständnis einer anderen Religion mitzuvollzieheru Oft fehlt das Interesse, und wenn nicht gar Abneigung besteht, so ist doch ein gewisses Maß an Scheu vor dem Fremden daran schuld, daß - leider - nicht nur Seneca in dieser Beziehung einem Irrtum unterlag.
Zu verstehen, was und warum andere Menschen feiern, ist von größter Wichtigkeit für das gute, von Verständnis getragene Zusammenleben von Menschen, die von verschiedenen religio-kultu-rellen Traditionen geprägt sind. Das gilt in der säkularisierten Gesellschaft nicht weniger als in einer primär religiös strukturierten. Fest und Feier sind immer, auch wenn der Schein trügt, religiös.
Das gilt in christlichen Augen umso mehr vom jüdischen Fest, haben doch die meisten jüdischen Feste ihren unmittelbaren Anknüpfungspunkt in der biblischen Tradition, die Juden und Christen gemeinsam ist. In diesen Festen wird die heilige Geschichte für den gläubigen Juden immer wieder gegenwärtig. Aber auch der nicht fromme Jude erlebt in ihnen vielfach die ihn, nolens volens, prägende Tradition. Die Feier der Feste bedeutet ein starkes einigendes Band, das die Juden der ganzen Diaspora - und über die Geschichte hinweg — aller Generationen verbunden hat und immer noch verbindet.
Wenn auch konfessionelle Bindungen aller Art schwinden, sind die Religionen lebendiger und gesellschaftswirksamer, als man es sich als Kind der Aufklärung vor Jahrzehnten noch hätte träumen lassen. Sachgemäße Information über das religiöse Selbstverständnis ist nicht frommer Zeitvertreib, sondern ein gerade heute wieder sinnvoller Kommunikationsvorgang in einer säkularisierten Gesellschaft, nicht zu reden davon, daß die christliche Ökumene oft weniger von sachgerechter Information als von bequemem Wunschdenken geprägt ist. Was Juden feiern, wenn sie ihre Feste begehen, daran soll an dieser Stelle im Jahr 5748 jüdischer Zählung erinnert werden.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!