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Ein Opemereignis in der DDR

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Die Spannung war beträchtlich, im Westen vielleicht noch mehr als in der DDR: Der Hinweis auf Friedrich Goldmanns Kammeroper „R. Hot”, in Auftrag gegeben von der Deutschen Staatsoper Berlin, preisgekrönt in einem „Wettbewerb für musikalische Bühnendramatik” zur 25-Jahr-Feier der DDR, kursierte seit geraumer Zeit; die Premiere wurde einige Male verschoben, schließlich waren ganze zwei (!) Verstellungen zum Abschluß der VI. Musik-Biennale Ende Februar 77 angesetzt.

Es handele sich, das war schon lange durchgesickert, bei dem einige Monate vorher im Druck erschienenen Libretto von Thomas Körner - nach dem Stück „Der Engländer”, einer „dramatischen Phantasie” des Stürmers und Drängers J. M. R. Lenz - weder um Aufbau- noch um Ankunftliteratur (Ankunft im Sozialismus”). Die Musik von Friedrich Goldmann - 1941 im sächsischen Siegmar-Schönau geboren, Kreuzschüler in Dresden (ein Talente-Reservoir: Der im Westen bekanntere

Udo Zimmermann gehörte dem Kreuzchor an), Darmstadt-Besucher 1959, Meisterschüler von Wagner-Rėgeny in Ostberlin, Musikwissenschaftler -, die Opemmusik dieses Goldmann also folge weder klassizistischen noch folk- loristischen Trends, aber auch nicht der seit einigen Jahren in der DDR beliebten Einschmelzung Schönbergscher und serieller Praktiken. Goldmann, zwar mit Bühnenmusiken, aber noch nicht mit Musik für die Bühne hervorgetreten (im SFB vor einem Jahr mit einer Ersten Sinfonie), biete Eigenes.

Die Prognosen bestätigten sich aufs Wort. Das Warten auf „R. Hot” hat sich, sieht man von der vordergründigen, an den Tücken der Raumbühne scheiternden Inszenierung eines Nachwuchs- Regisseurs aus der Schule des Berliner Ensembles ab, durchaus gelohnt. Gespielt wurde im Apollo-Saal4, einem Foyer des in seinem organisch-prunk- vollen Ebenmaß staunenswerten Knobelsdorff-Baues, auf einem drehbaren Rundpodium; das Publikum saß zu beiden Seiten. Die daraus sich erge benden akustischen und szenischen Probleme wurden wettgemacht durch den frischen Wind des Unkonventionellen, eine Brise freilich, die in der DDR anderes in Bewegung setzen mag als im Westen, Unrationales wohl auch … Höchste Ratio zeichnet das Werk aus; es ist aber zugleich auch sinnlich-schön und erfüllt dadurch einige Postulate materialistischer Ästhetik. Das Bemerkenswerte ist, daß es dies in vollkommener Freiheit, in gestischer Lok- kerheit tut. Der Titelheld Robert Hot, ein Engländer in Turin, sucht sich von den lebensfernen Vernunft- und Politikpraktiken der Väter zu befreien; scheitert bei Lenz, bricht bei Körner und Goldmann mit seiner Prinzessin zwar auf in eine märchenblanke Zukunft, aber die Musik sagt deutlich, daß dies Kitsch sei, wenn mit dem Aufbruch der (nicht vorhandene) Vorhang fällt. „Hitze” für ein besseres Morgen (das wir alle gebrauchen können) genügt wohl nicht; die „Verwirrung von Gefühlen” muß - so ein von Lenz stammendes Motto - „Sprache finden”.

Goldmanns Sprache baut sich ihr Vokabular aus Verhaltensweisen der Opemgeschichte; der Probenplan folgte einem „Posenplan”, 112 Mini- Abschnitte umfassend. Diese Posen sind nicht Verkleidungen, auch nicht „Gesten” im Sinne der (auf die Oper nur mit Vorbehalt anwendbaren) politischen Haltungen Brechts. Es sind Partikel mit genauer Entsprechung zum Text, zum Mimus, zum Detail des Ablaufs, nicht jedoch im Sinne der plakativen Hervorhebung, sondern in dem der gefühlsmäßigen Verdichtung, der rationalen Differenzierung. Goldmann hat, sagte er mir, an das Kleist- sche Marionettentheater gedacht, an die Utopie der Schwerelosigkeit in maximaler Bewußtseinshelle. Diese Idee fand unter seiner musikalischen Leitung beim Ensemble (sechs Sänger, dazu ein stummer Darsteller, sieben In- strumentalisten) Resonanz im Hörbaren; der Schauseite blieb der Rest von Schwere, puppige Albernheit - Arbeit, die noch nicht ans Ziel gekommen war.

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