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Ein Schisma droht

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Marcel Lefebvres Priesterbruderschaft St. Pius X. zählt 187 Priester aus 23 Ländern. Eine Aussöhnung mit Rom ist nicht in Sicht, meint Lefebvres Stellvertreter.

Spekulationen über einen bevorstehenden Ausgleich zwischen Rom und dem Traditionali- stenfilhrer Marcel Lefebvre nährte im Vorjahr eine Äußerung von Kardinal Silvio Oddi. Im September ließ er verlauten, eine Versöhnung sei bereits im Herbst möglich. Der „Rebell“ sei ein „heiligmäßiger Mann“, meinte der konservative Kurienkardinäl weiter, der als Kontaktmann im Vatikan viele Gespräche mit dem amtsenthobenen Erzbischof geführt hat. Wenn auch Lefebvres Stellvertre-

ter Franz Schmidberger wenig später erklärte, ..sehr wenig Grund für einen Versöhnungsoptimismus“ zu sehen, so stand für ihn immerhin ein Schisma — eine Kirchenspaltung aufgrund der Weihe eines Bischofs durch Lefebvre — noch „außerhalb jeglicher Diskussion“.

In einem Interview mit der italienischen Monatszeitschrift „Trenta giorni“ erwähnte aber der 81jährige Lefebvre inzwischen die Möglichkeit, noch in diesem Jahr einige Bischöfe zu weihen. Auch Schmidberger markierte am letzten Treffen der Westschweizer Journalisten für religiöse Fragen in Lausanne eher eine Verhärtung als eine mögliche Aussöhnung und bestätigte, daß die Weihe eines Bischofs nicht ausgeschlossen ist. In seinem Referat legte der 40jährige Deutsche — 1975 in Ecöne zum Priester geweiht und seit 1982 Generalvikar der Priesterbruderschaft St. Pius X. und Stellvertreter Lefebvres - ausführlich dar, wie sich die Priesterbruderschaft als Antwort auf die Krise der katholischen Kirche versteht.

Im Zeitalter des Humanismus und der Renaissance fand eine tiefgreifende Veränderung des

Bildes von Gott, dem Menschen und der Welt statt, meinte Schmidberger. Zuvor hatte Gott den ersten Platz eingenommen, und der Mensch hatte Gott verehrt. Mit der Neuzeit begann sich der Mensch in Wissenschaft und Technik zu verwirklichen. Abschluß dieser Entwicklung ist der Protestantismus, besonders Luther, der den Menschen als autonom .in seinem freien Gewissen gegenüber Lehramt und Papst erklärte. Er akzeptierte nicht mehr die „totale Unterwerfung, die unser Herr Jesus Christus sicherlich für seine Gläubigen und seine Kirche gewollt hat“.

Die erste Etappe auf dem Weg zur Säkularisation (Verweltlichung) sind die „soli“ Luthers: sola scriptura (allein die Heilige Schrift, keine Tradition), sola gratia (allein die Gnade, keine Mitarbeit des Menschen am Heilsplan Gottes) und solus Deus (allein Gott, keine Mittlerschaft, keine Kirche, kein Priestertum). Diese Grundsätze Luthers haben „ganze Nationen von der Kirche und vom Stuhl Petri getrennt“, so Schmidberger, und j,die Quellen göttlichen Lebens versiegen lassen“. Die zweite Etappe sind die Aufklärung und die Gründung von Geheimgesellschaften (besonders Freimaurerlogen), die schließlich zur Französischen Revolution führten, in deren Verlauf zahlreiche Christen, Priester und Ordensleute verfolgt und getötet wurden.

Verschiedene Päpste warnten in ihren Enzykliken vor den neuzeitlichen Gefahren, so Schmidberger, und Pius X. stellte in seinem Kampf gegen den Modernismus Anfang unseres Jahrhunderts fest, daß sich der Feind nicht mehr außerhalb, sondern nun innerhalb der Kirche befände. Dann tauchte der Marxismus auf. Während Luther noch „in gewisser Weise“ an Jesus Christus und die Freimaurer an der Idee eines höchsten Wesens festhielten, machte der Marxismus „reinen Tisch“, denn er erstrebt nur das Paradies auf Erden.

Diese Entwicklung in Gesellschaft und Kirche mündete schließlich laut Schmidberger ins Zweite Vatikanische Konzil, dessen „neue Orientierung“ sich vor allem in den Dekreten über die Religionsfreiheit, den ökumenis- mus und die nichtchristlichen Religionen sowie in der Konstitution über die Kirche in der Welt von heute findet. Ferner wurden demokratische Prinzipien in der Kirche eingeführt, die sich nicht mehr gegen ihre traditionellen

Feinde verteidige; vielmehr herrsche ein Klima der Öffnung, des Dialogs und des Austausches.

Die Folgen der „neuen Anschauung“ ließen sich an der Liturgie ablesen, „die den Menschen immer mehr in die Mitte der Handlung stellt“. Es geschehe nicht mehr Verehrung und Gottesdienst, sondern Teilung des Brotes; man versammle sich um einen Tisch, nicht mehr um den Altar. Daneben entwickelte sich eine Theologie - Schmidberger nennt Namen wie Küng, Haag, Greinacher, Schillebeeckx, Con- gar und Curran -, die gänzlich der kirchlichen Lehre widerspreche.

Die Krise führe zum Zusammenbruch der Kirche, der sich nach Schmidbergers Meinung statistisch belegen läßt. Dabei besteht für ihn kein Zweifel, daß es wegen - und nicht etwa trotz - des Konzils zu dieser „alarmierenden Situation“ gekommen ist: In der Bundesrepublik Deutschland gehen 93 Prozent der Katholiken nicht mehr zur Beichte. In Frankreich, einem „ehemals katholischen Land“, praktizieren nur noch zehn Prozent der Katholiken. In den USA gibt es jährlich mehr als eine Million Scheidungen unter den Katholiken. Im katholischen Polen gibt es pro Jahr 600.000 bis 800.000 Abtreibungen. Weltweit gibt es 70.000 verheiratete Priester, die „ihr Amt und ihre Berufung aufgegeben haben“.

Diese Situation sei nicht nur für Europa typisch, meint der weitgereiste Generalobere der Priesterbruderschaft St. Pius X. Allerdings stünden jeweils verschiedene Probleme im Vordergrund: in Europa der verlorene Glaube an die Göttlichkeit Jesu, in den USA die Immoralität, in Lateinamerika die stark marxistische Befrei ungstheologie, in Asien und Afrika die Inkulturation, die Schmid- berger durch eine „skandalöse Fotografie“ veranschaulicht sieht, die Johannes Paul II. bei einer liturgischen Feier auf den Fidschi-Inseln mitten unter Eingeborenen mit nacktem Oberkörper zeigt.

Ein Blick auf die Geschichte zeige, daß Gott immer wieder gehandelt und eingegriffen hat. So scheint es dem Generaloberen, daß die 1970 von Lefebvre gegründete Priesterbruderschaft St. Pius X. eine Antwort auf die heutige Dekadenz und Säkularisierung ist. Die Aufhebung der Priesterbruderschaft durch Bischof Pierre Mamie im Jahr 1974 sowie die Amtsenthebung von Erzbischof

Lefebvre durch Papst Paul VI. im Jahr 1976 haben die Traditionalisten nie als gültig anerkannt.

Zur Frage einer möglichen Ernennung eines Nachfolgers von Lefebvre meinte Schmidberger: „Wenn in normalen Zeiten ohne Erlaubnis des Papstes ein Bischof geweiht wird, so ist dies zweifellos schismatisch.“ Normale Zeiten sind allerdings laut Schmidberger durch „Wachstum und Entwicklung“ gekennzeichnet. So ist es für ihn „nicht ausgeschlossen, daß sich Lefebvre entscheidet, einen Bischof zu weihen“. Dies wäre noch kein Schisma, geht es doch um die Weitergabe des Priesteramtes in einer katastrophalen Situation der Kirche.

Angesichts des gemeinsamen Feindes, des Marxismus, unterhält Ecöne Verbindungen zu extremen Rechten wie Le Pen in Frankreich, bestätigte der Generalobere der Priesterbruderschaft. Und Chile ist für die Traditionalisten ein Bollwerk des Christentums gegen den Kommunismus. Begründung: Die Kirche habe sich nicht für die Menschenrechte und die Demokratie, sondern für die Rechte Gottes einzusetzen. Neben dem Einsatz von Papst Johannes Paul II. für die Menschenrechte markiert auch die von ihm praktizierte Ökumene der Religionen — Schmidberger hält das im vergangenen Herbst in Assisi einberufene Gebetstreffen der Weltreligionen für den Frieden schlicht für einen „Skandal“ — einen weiteren tiefen Graben, der Rom und die Traditionalisten trennt.

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