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Markierte Grenzen

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Der „Fall Lefebvre“ hat mit der Zelebration trotz Verbots in Lille seinen neuen Höhepunkt erreicht, der „Fall Franzoni“ ebenso mit der Suspendierung des Beneddktiner-abtes. Weder der eine noch der andere zeigt sich bereit, den Urteilsspruch des bisher als oberste Instanz anerkannten Vatikans zur Kenntnis zu nehmen. Ungehorsam? Abfall? Spaltung? Schisma? Auch die Zuordnung dieser beiden „Fälle“ zu einem der aufgezählten Stichwörter hängt nicht nur von ihrer Analyse, sondern mehr noch vom Ausgangspunkt des Analysierenden ab.

Hier ein alter, einst bewährter Missionsbischof, der selbst als Konzilsteilnehmer an der Formulierung so manchen Papiers mitgewirkt hat, das er heute nicht mehr zur Kenntnis nehmen will; in seinem Gefolge eine immer größer werdende Schar von Anhängern, die ihm — zumindest im Protest gegen fremdgebliebene Neuerungen — folgen.

Dort ein ebenso bewährter Abt eines berühmten Benediktinerklo-sters, der seinen Auftrag aus dem Konzil immer stärker in Richtung auf die Sozialreform zu erkennen glaubt; der in Christus den Revolutionär, nicht den Erlöser sieht und für seine Gläubigen im römischen Elendsviertel das (materielle) Hell eher über eine kommunistische Herrschaft erreichbar sieht, als aus dem Glauben (und über eine DC-Regierung).

Beide sind „Früchte“ des Konzils

— man verzeihe den Ausdruck —, „Abfallprodukte“ jenes Aufbruchs, der die für den Christen mögliche Bandbreite so stark vergrößert hat. Mußten die Katholiken — um beim Vergleich zu bleiben — bis zum Konzil auf einem relativ schmalen Brett wandeln, rechts und links durch die Seile einer genau festgelegten kirchlichen Sprachregelung geführt und vor Absturz gesichert (sie mußten sich bücken, um unter ddesen Seilen hinweg den kirchiliohen Weg zu verlassen), so steht dem für mündig erklärten Christen nach dem Konzil ein breites Band der Möglichkeiten in Ritus wie Theologie zur Auswahl

— aber kein Warnschild deutete bisher, offenbar zu lange, an, wo dieses Band endete und ein Übertreten auch ein Verlassen der Gemeinschaft der Kirche bedeuten mußte.

Ist es zu verwundern, wenn in der Begeisterung über die ungewohnte Freiheit, über die völlig neuen Perspektiven, die sich boten, die nach „links“ verschrwiimmende Grenze nicht nur einmal, nicht nur von Franzoni, übersehen, überschritten wurde?

Ist es zu verwundern, wenn Menschen, die ein Leben lang ihren Ritus gewohnt waren, zu alt, um sich noch umzugewöhnen, sich verlassen, ja, verraten fühlten? Daß sie nicht mitkamen, wenn sie sahen, wie den „andern“ aille Abirrungen vom neufest-gelegten Ritus ertlauibt schienen, ihnen selbst aber das teure Alte verboten werden sollte? Daß sie sich auflehnten geigen vermeintliche Verunsicherung, die doch oft genug nicht mehr war, als ein mangelhafter Informationsfluß, nicht genügend intensives Bemühen um Verstehen dessen, was durch das Konzil an Neuem von der Kirche geboten wurde? Sie verfehlten die an der rechten Seite des neuen Bandes ver-schwtonimende Grenze.

Auf beiden Seiten nun parallele Erscheinungen: Die angedrohte, nach Meinung von Theologen bereits automatlisch wirksame Exkommunikation des Erzbischofs, die Zurück-versetzunig des Abtes in den Laienstand als Markierung der Grenzen

des Bandes — sie sollen jene Maßnahmen setzen, die von so vielen, sich unsicher fühlenden Gläubigen lange gefordert worden waren; Maßnahmen, die gegen verdiente Priester gerichtet sind und dem Papst daher nur als letzter Ausweg nach Ausschöpfung aller gütlichen Möglichkeiten annehmbar erschienen.

Werden diese Maßnahmen jetzt zur Scheidung der Geister führen, die ebenfalls rechts wie links unerläßlich erscheint? Zur Entscheidung für jeden einzelnen, für alle jene, die bisher Lefebvre oder Franzoni gefolgt sind: folgen sie ihnen weiter in die bewußte Auflehnung, ja in die Abspaltung von der Kirche, oder besinnen sie sich, wo die nun markierte Grenze verläuft?

Denn — das hat auch die Fernsehdiskussion der Vorwoche zum Fall Lefebvre deutlich erkennen lassen — auf dem Nährbeet einer verständlichen Unzufriedenheit, der Forderung nach Berücksichtigung legitimer Wünsche wächst Sektierertum, das — je mehr es sich auf die Alleinvertretung der „wahren“ Kirche beruft — immer weiter von dieser, immer weiter von jeder vernünftigen Beurteilung der Lage, immer weiter von den Geboten der christlichen Nächstenliebe — auch dem kritisierten „Gegner“ gegenüber — abrückt.

Wenn von „Fremdibesatzung“ im Vatikan gesprochen, wenn Papst und Kardinäle im besten NS-Jargon als „Freimaurer“ verschrieen werden, wenn der Haß aus den Augen der Eifernden lodert — dann ist wohl die Sekte Tatsache .geworden, ob nun ein offizieller Trennungsstrich erfolgt oder nicht. Mit allen jenen Tausenden, die nichts anderes suchten, als die Orientierung im Ungewissen; für sie alle, die von der Triidentinisahen Messe nicht lassen wollten — und nichts anderes —, muß nun die Entscheidung fallen. (Hätte man ihnen nicht schon früher helfen können, wenn man dem Alten gegenüber so verständnisvoll gewesen wäre, wie so manchem Experiment des Neuen?)

Von Schisma kann wohl keine Rede sein. Abfälle einzelner, Abspaltungen kleiner Gemeinschaften, die schließlich im Sektierertum endeten, hat es immer wieder gegeben. Traurig für die Kirche, für die Betroffenen waren sie immer. Auch Anlässe dafür mußten vorhanden sein — sie entstehen nicht aus dem Nichts.

Hat auch Erzbischof Lefebvre erkannt, daß die Entwicklung auf ein Ziel hintreibt, das er selbst nicht will? Seine Worte in Besancon, eine Woche nach Lille, klangen versöhnlicher als bisher. „Ich bin bereit, zu Füßen des Heiligen Vaters zu knien, sagte er. Der Papst hat selbst mehrfach zu erkennen gegeben, daß ihm die harten Maßnahmen nur als allerletztes Mittel annehmbar erschienen; an ihm wird es nicht liegen. Die Ränder sind markiert.

Die nun klargestellten Grenzen könnten dazu beitragen, die Verunsicherung zu mildern. Nach dem Gären der Ideenfülle des Konzils, nach dem Wildiwuchs des neuen Kirchen-frühilingis dm 20. Jahrhundert sollte nun eine Zeit ruhigerer Weiterentwicklung einsetzen — auf der nun deutlichen Bandbreite. Es wird ebenso die Aufgabe der Theologen, der Seelsorger wie der christlichen Pädagogen und nicht zuletzt der Massenmedien sein, durch die intensivere Information und Orientierung über die Aussagen des Konzils und die darauf aufbauenden Neufonmu-lierungen der Kirche mit dazu beizutragen, daß zumindest ein unbeabsichtigtes Überschreiten der Grenzen vermieden wird.

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