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Ein schwerer Abschied

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In den Programmen und Vorlesungsverzeichnissen des französischen Kulturinstitutes, der Bildungswerke, der katholischen Akademie u. a. werden wir ab nun einen Namen vermissen, der uns in Wien und darüber hinaus in Österreich vertraut war und viel bedeutet hatte: Andre Espiau de la Maestre. Seine Französischkurse für Fortgeschrittene, seine Vorlesungen über französische Dichtung und Philosophie, über Musik und Kunst waren wertvollste Bereicherung, und — was selten vorkommt — auch ein Genuß.

Der gebildete, geistvolle Franzose und Edelmann dozierte sein eminentes Wissen nie auf schulmeisterliche Art, sondern verstand es, den vorgetragenen Stoff seinen Hörern mit Brillanz zu einem ästhetischen Erlebnis zu machen; in jenem tiefsten Sinn des Wortes ästhetisch, der über bloße kunst- und geistreiche Formulierungen hinaus Wahrheit und Bildung vermittelt. Ganz gleich, ob es Grammatik war oder Interpretation einer Dichtung; ganz gleich auch, ob er in französischer oder deutscher Sprache vor trug. Wenn man weiß, daß er seine mündlich gesprochenen wie schriftlich niedergelegten Texte in deutscher Sprache auch konzipierte und nicht erst nachträglich ins Deutsche übersetzte, kann man seine Gewandtheit und Einfühlung, mit denen er auch typisch österreichische und Wienerische Ausdrucksweisen beherrschte, nur bestaunen. Dabei ist er von einer Noblesse und Liebenswürdigkeit des Umgangs, wozu nur ein homme de lettres, ein humanistischer Geist, dem Literatur und Humanismus Lebenselement geworden waren, fähig ist. Aufgeschlossenheit, Freiheit des Geistes, Gewandtheit, Formbewußtsein jenseits der Grenzen von Generationen, Nationen und Konfessionen zeichnen ihn aus.

In Paris geboren, stammt er aus einer alten französischen Familie Südfrankreichs, deren Stammschloß, Vic-Fézensac, nördlich von Lourdes zwischen Tarbes und auch im Departement Gers, heute noch steht. Eine vielseitige Universitätsausbildung — Jura und Germanistik in Paris, Philosophie und Theologie in Rom — legten den Grund seiner Bildung. Nach dem zweiten Weltkrieg kam er als Verbindungsoffizier nach Deutschland und als Mitglied des Alliierten Rates nach Wien, von wo er ans französische Institut am Lob- kowitzplatz als Leiter der Kulturabteilung berufen wurde. Er war wesentlich mitbeteiligt en der Gründung des Lycée Franęais in der Liechtensteinstraße und. leistete schon allein dadurch einen

nicht mehr wegzudenkenden Beitrag für das österreichische Bildungswesen. Seine unzähligen Vermittlerrollen in kulturellen Belangen, seine Semináře für die Professoren der französischen Sprache, seine Vorträge auf den Universitäten in Österreich und Deutschland lassen die Früchte seiner Arbeiten mehr ahnen als statistisch erfassen. Die unmittelbar Beteiligten können ihm nicht genug danken. Seine Bücher über moderne französische Literatur und Philosophie, die nur einen teilweisen Niederschlag vieler Artikel in den verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften — u. a. auch in den „Literarischen Blättern der „Furche" — darstellen, die der Verlag Otto Müller in Salzburg herausbrachte („Der Sinn und das Absurde“, „Berna- nos und die menschliche Frei

heit"), darunter an erster Stelle seine unvergleichlichen Claudel- Studien („Das göttliche Abenteuer“), die ihn zu einem der ersten Fachleute in Sachen Claudel machen, sind lebendige Beispiele seiner Arbeits- und Denkweise.

Wie sehr werden wir ihn nun vermissen! Ein wahrhaft schwerer Abschied. Diese Zeilen sollen daher keineswegs eine übliche Abschieds- oder Lobrede sein, sondern entspringen einem aufrichtigem Bedauern. Man kann nur hoffen, daß die zuständigen österreichischen Stellen ihn immer wieder ins Land einladen werden, nicht bloß einer schönen Erinnerung wegen, vielmehr, um an den Früchten seiner Arbeiten partizipieren zu können. Das schönste wäre es, ihn, bevor er andere Bindungen eingeht, mit einem Lehrauftrag überhaupt nach Österreich zu verpflichten, denn nicht nur wir Österreicher haben ihn schätzen und lieben gelernt, auch er lebt mit einem großen Teil seines Herzens in Österreich.

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