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Er verteilte sich selbst
Sommer für Sommer durchwanderte er allein die Dolomiten. Diesmal kehrte er nicht zurück. Er ist verschwunden; vielleicht verunglückt, vielleicht einem Herzleiden erlegen. Wir hoffen immer noch: er könnte auftauchen, lächeln, seine Arbeit fortsetzen, als wäre nichts geschehen. Aber die Hoffnung ist gering. Es gilt, Abschied zu nehmen.
Alfred Focke war ein gütiger, kluger, um Wahrheit ringender Mensch, heiter und geduldig, wortkarg im Gespräch und wortgewaltig, wenn es darum ging, den geistigen Kern der Dinge zu formulieren. Er stellte sich den Herausforderungen unserer unruhigen Zeit, nahm Stellung, zeigte die enge Verbindung zwischen Theologie und Ästhetik, lehrte an Universitäten, schrieb Studien von faszinierender Klarheit und fand dabei auch noch Zeit, sich um die privaten Probleme seiner Mitmenschen zu kümmern.
Vielen half er, und die Namen der meisten, die ihm so viel verdanken, sind nicht bekannt. Aber über Albert Paris Gütersloh schrieb er nicht nur wissenschaftlich fundierte Essays, nein, er edierte auch die beiden letzten Bücher des alternden Meisters, er stand ihm täglich bei - um nur ein einziges Beispiel zu nennen. Er nahm Anteil. Er verteilte nicht nur sein Wissen, sondern auch seine Kraft und Begabung. Er verteilte sich selbst.
Freund und Symbol
Wenn wir seinen Namen aussprachen, dann wußten wir, daß die Dinge eine gute Wendung nehmen würden. Pater Focke war ein Freund und zugleich ein Symbol.
Er war ein Sohn der alten Monarchie Österreich-Ungarn, geboren in Teplitz-Schönau im Jahre 1916. Mit einundzwanzig wurde er - in Beneschau - in den Jesuiten-Orden aufgenommen. Er studierte vor allem Philosophie und ging dann, geistig gut gerüstet, an die Arbeit.
Seine Erkenntnisse brachten neue Wertungen in die Kunstphilosophie. Er sah in der modernen Malerei den Versuch, den Schein einer an den äußeren Formen der Wirklichkeit klebenden Weltsicht abzustreifen und zur verborgenen Substanz der Dinge vorzudringen; er entdeckte in der verschlüsselten Sprache der neuen Literatur die Sehnsucht nach Spiritualität. Deshalb beschäftigte er sich so vertieft mit Schriftstellern wie Franz Kafka, Paul Celan und Ingeborg Bachmann.
Er sah, wie der Glaube an die Existenz einer geistigen Welt, wie die eigentliche Botschaft des Christentums auch diese - und gerade diese - Künstler des Wortes erfüllte. Er erkannte und spürte, daß die Schöpfer moderner Allegorien Verkünder eines Geistes waren, der die Grenzen des flachen Materialismus spielerisch und traumverloren überwand.
Neue, spirituelle Ästhetik
Focke zeigte uns die Moderne als eine Wiedergeburt der Metaphysik und als ermutigende Kün-derin zukünftiger Entwicklungen. Deshalb befaßte er sich auch mit den Denkern dieser neuen Metaphysik, mit Ludwig Wittgenstein und zuletzt mit Ferdinand Ebner.
Im Zeichen einer neuen, spirituellen Ästhetik schrieb er auch seine Artikel und Buchbesprechungen für die FURCHE. Es wird unsere Aufgabe sein, seine ausgewählten Schriften als einen Sammelband herauszugeben. Denn auch in diesem Punkt hat sich Pater Focke aufgeopfert. Er'hätte ein umfassendes Werk erarbeiten können, er aber stellte sich still, demütig und anscheinend vergnügt den harten Herausforderungen des Tages.
Alfred Focke schrieb viel über die Helden der modernen Literatur. Er war selbst ein Held solcher Visionen: ein Mann der analytischen Träume und des geistigen Lebens. Wir haben einen Freund verloren. Sein einsamer Tod in den Dolomiten wirkt als Bestätigung seines Denkens. Für das Werk des Menschen Alfred Focke ist dieser Tod kein Ende; seine Gedanken werden erst in der Zukunft ihre wahre Wirkung entfalten.
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