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Eine streitende Kirche

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Alfred Focke, auch in Fragen der bildenden Kunst kompetent, ist über Österreich hinaus vor allem durch zwei Bücher bekannt geworden: seine Trakl-Studien und seine scharfsinnige Untersuchung unter dem Titel „Dichtung als Wahrheit und Freiheit“. Das Denken, das diese Bücher prägt, bewegt sich nie einspurig, es gründet sich sowohl auf literarische als auch auf theologische Erfahrungen und setzt beide zueinander in Beziehung, so daß sie sich unentwegt revidieren, ergänzen.

Die neueste Ver entlichung Frckes — eine Sammlung von Vorträgen und Ansprachen — heißt „Für und wider die Zeit oder Die streitende Kirche“. Der zweite Teil des Titels deutet an, daß hier vorwiegend christliche Probleme und Zeiterscheinungen behandelt werden sollen. In der Tat geht es dem Autor diesmal nur am Rand um Literatur. Im Vordergrund steht die praktische Kritik am kirchlichen Leben, an der Position des Christentums heute. Der Ton liegt auf „praktisch“. Das heißt: Fockes Kritik orientiert sich am effektiven Verhalten des einzelnen Gläubigen, an Erfahrungen mit Klerikern wie Laien, sie zeigt die Auswirkungen jener Ideen, in deren Namen sich der Katholizismus gegenwärtig zu reformieren versucht. Für und wider die Zeit: Also kein extremes Ja oder Nein zu modernen Formen und Ansichten, vielmehr ein scharfes Abwägen der zuverlässigen und der leichtfertigen Kräfte, die heute die Evolution vpr- antreiben. Streitende Kirche bedeutet namentlich, die mit sich selbst im Widerstreit liegende.

Die Anlässe zu Fockes Überlegungen sind stets aktuell. Entsakralisie- rung, Experimente mit der Liturgie, Dialog mit dem Marxismus, Aktivität im seelsorgerischen, karitativen, „gesellschaftlichen“ Bereich — davon also wird ausgegangen. Und sogleich zeigt es sich: Hier erhebt einer die Stimme, der von Betriebsamkeit überhaupt nichts hält, der gegen jedes Mitlaufen, Sichanpassen ist. „Da stürzt man sich auf einen strategischen Vereinskatholizismus, auf

Methoden der Massenbeeinflussung, auf Errichtung liturgischer Fassaden und wird zum rücksichtslosen, lieblosen, hochmütigen, alles besser wissenden Funktionär und Gschaftel- huber…“ Polarisierunge. mit Schlagworten wie progressiv — konservativ, junge Generation — alte Generation, links — rechts usw. erscheinen dem Autor nicht nur völlig ungeeignet, die Lage zu klären, sondern als ausgesprochene Falsch münzerei und Demagogie. Immer von neuem prangert er die Geschwätzigkeit unserer Zeit an, ihren wendigen und wortreichen Konformismus, und hält ihm die Einsilbigkeit der modernen Poesie entgegen, die es wagt, nur zögernd, aus ganz großer Distanz van den ersten wie letzten Dingen zu sprechen. Zustimmung finden bei Focke alle gegen „EincMmenisionalitat“ gerichtete Gedankengänge. Er kann sich dann ohne weiteres mit solchen — ihm von Haus aus konträren — Denkern wie Bloch oder Herbert Marcuse einig fühlen, auch an einem

„Avantgardisten“ wie Handke noch Überzeugendes entdecken. Aber wichtiger sind ihm natürlich .Teilhard, Henry de Lubac und Karl Rahner, Trakl und Rilke und Benn oder von den Jüngeren etwa Ingeborg Bachmann und Christine Busta. Daß er mit Dichtem gegen christliche Ideologie argumentiert, sich bei chinesischen Weisen Rat holt, zeugt nicht bloß von der Offenheit seines Horizonts. Je mehr man sich in die Texte vertieft, desto deutlicher spürt man, daß die Laien dem Autor näherstehen als die Amtsbrüder, die Sünder näher als die Gerechten. Deshalb vermeidet er nach Möglichkeit spezielles Theologisieren. Er weiß, wie peinlich es wäre, mit dem Wissen seiner Weihen und der Schulung seines Ordens den zweifelnden Leser um jeden Preis „überrumpeln“ zu wollen. Er liebt Fairneß, Anstand, Distanz.

Besonders eindringlich erscheinen mir die Reden „Das Rad der Geschichte“, „Über die Meditation“, „Die Frage nach dem Tod“ und „Die lebendige Kirche“. Wo Focke auch ansetzen mag, zuletzt läuft alles bei ihm auf das Wort hinaus — jenes vom Funken des Logos erhellte oder in Brand gesteckte Wort. Fockes eigene Sprache ist einfach, direkt, beherzt, an ihren Höhepunkten von einleuchtender Gleichnishaftigkeit. „Immer wieder wird es Menschen geben, die die Kirche, dieses Weib, beim Ehebruch ertappen und vor Gericht schleppen… Wer ohne Schuld ist, der hebe den ersten Stein auf.“ Hin und wieder stört ein wenig die Vielbelesenheit des Autors, wenn sie sich in ausschweifendem Zitieren äußert. Auch hier gilt: Weniger wäre mehr. Vielleicht ist das Zurücktreten eigener Gedanken hinter fremde Textstellen Ausdruck von übergroßer Bescheidenheit. Doch wer wie Focke zu formulieren versteht, braucht sich nicht zu verstecken.

FÜR UND WIDER DIE ZEIT oder Die streitende Kirche. Von Alfred Focke. Herold-Verlag, Wien. 212 Seiten, S 98.—.

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