Für seine Auferstehung brauchte er kein Grab

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Alfred Focke SJ: Nonkonformist im Priestergewand. Zum 30. Todestag eines Protagonisten des Gesprächs zwischen Kirche und Gegenwartsliteratur, der auch die FURCHE prägte.

Am 20. August 1982 war in einer Wiener Tageszeitung die folgende Meldung zu lesen: "Jesuitenpater Dr. Alfred Focke, Literaturforscher, Kritiker und Professor an der Wiener Akadmie der bildenden Künste, wird seit Sonntag abend in den Osttiroler Dolomiten vermisst. Pater Focke, der seit Jahren seinen Urlaub in Abfaltersbach verbringt, war Sonntag mit seinem Auto zu einer Bergwanderung aufgebrochen. Seither fehlt von ihm jede Spur.“

Unter dem Eindruck dieser Meldung verfasste die große Lyrikerin Christine Busta, die in Alfred Focke einen ihrer verständnisvollsten Interpreten gefunden hatte, die folgenden Verse: Am Tage Mariae Himmelfahrt / neunzehnhundertundzweiundachtzig / ist er allein in die Berge gegangen. // Er hat sein Ziel nicht verraten. / Er ist nicht zurückgekehrt. / Man hat ihn auch nicht gefunden. // Ist er noch unterwegs / oder schon angekommen / zwischen Steinen und Sternen? // Er hat sich nie etwas zugerechnet. / Was er für nötig und gut hielt, tat er. / Er war da - ohne Schein. Das bleibt. / (Auch was wir ihm schuldig blieben.) / Für seine Auferstehung/ braucht er kein Grab. / Sie hat schon begonnen - / in unserer Trauer.

Vorläufige Nachrufe

Wenig später widmete György Sebestyén in seiner Zeitschrift morgen dem Verschwundenen einen vorläufigen Nachruf, der auf Abschiedsworte verzichtet und an die Stelle eines Kreuzes viele Fragezeichen setzt: "Ist er einem Herzschlag erlegen? Oder wagte er diesmal, allein, ohne Sicherung, eine Klettertour? Unwahrscheinlich. Er war durch Aussichten auf ein Abenteuer der sachkundig eingesetzten Muskelkraft nicht verführbar. Wollte er verschwinden: aus dem Leben oder wenigstens aus seiner eigenen Biographie?“ Und in der FURCHE, deren Feuilletonchef Sebestyén damals war, schrieb er: "Wenn wir seinen Namen aussprachen, dann wussten wir, dass die Dinge eine gute Wendung nehmen würden. Pater Focke war ein Freund und zugleich ein Symbol.“

Seinen Leichnam barg man erst neun Monate später. "Dass man ihn so lange nicht gefunden hat, ist für mich ein Zeichen dafür, dass er sich immer entzogen hat - auch noch im Tod. Es bleibt ein Geheimnis (…). Und von daher kommt die starke Faszination“, meinte der mit Focke eng befreundete Bildhauer Karl Prantl und beschreibt ihn als "tastend, sehr vorsichtig, mit Geduld und Beharrlichkeit, gerade auch in der Begegnung mit der Moderne.“

Für alles Moderne in der Literatur, alle Aufbrüche in literarisches Neuland hatte Focke ein ungemein feines Gespür. Wie sehr er die hohe Kunst der nachschöpferischen Deutung beherrschte, bewies er zunächst mit seinen drei großen, bald nach dem Krieg entstandenen Monografien über Rilke, Trakl und Gertrud von le Fort, später in seinen zahlreichen Buchbesprechungen, die über viele Jahre in der FURCHE, in der ORF-Sendung ex libris, in Literatur und Kritik, in Wort und Wahrheit in den Wiener Bücherbriefen und, nicht zuletzt, im Entschluss, dem Organ der österreichischen Jesuiten, erschienen sind. (Diese inzwischen leider eingestellte Zeitschrift widmete ihm 1992, zu seinem 10. Todestag, eine Gedenknummer, gestaltet von seinem Mitbruder Gustav Schörghofer, der ihn darin als "einen, der an die Grenze geht“ einfühlsam porträtiert.)

Breites literarisches Spektrum

Pater Fockes literarisches Spektrum war denkbar breit: Ernst Jünger fand darin ebenso Platz wie Ernst Jandl, Robert Musil ebenso wie Simone de Beauvoir, die lapidare Schlichtheit eines Heinz Piontek ebenso wie das undurchdringliche Sprachdickicht einer Friederike Mayröcker. Derlei fundierte Breite und Vielseitigkeit ermöglichte es ihm, Weggefährte alter Meister wie Gütersloh und Henz zu sein, gleichzeitig aber auch Förderer junger Autoren wie Georg Bydlinski.

Fockes Kritiken, frei von jeglichem Jargon, haben keinerlei Patina angesetzt. Längst wäre es an der Zeit, sie zu sichten und gesammelt herauszugeben. Wieder zu entdecken ist aber auch sein Essayband "Für und wider die Zeit oder Die streitende Kirche“ (1971), eine Kampfansage an den "christlichen Hans Dampf in allen Gassen, der kein eigenes Urteil besitzt“, an den "eindimensionalen Christen“, der nicht betet, sondern nur das jeweils Vorgesagte und Angesagte nachbetet. Allerlei modisch drapierte Einseitigkeit in Denken und Glauben wird auf den 200 Seiten dieses Buches pointiert und präzise entlarvt. Unter dem Eindruck nachkonziliarer Betriebsamkeit wendet sich Focke gleichermaßen gegen die "hektischen Revolutionäre“ wie gegen den "tierischen Ernst sturer Konservativer“ und gibt beiden Seiten zu bedenken: "Wir können die Geschichte nicht verlassen, schon gar nicht die Zukunft lebendigen Wandels desavouieren.“ Jedoch: "Erneuerung nur dadurch betreiben zu wollen, dass einfach modernistische Formen an die Stelle der antiquierten gesetzt werden, dass man der augenblicklichen öffentlichen Meinung huldigt und ihr alle Konzessionen macht, das Herz darunter aber das gleiche bleibt (…), schafft noch keine Wandlung in der Meinung, sondern liefert sich dem Wandel der Zeit und ihrer Meinungen aus.“

Heute, 30 Jahre nach seinem Tod, ist Pater Focke vergessen. In den heftigen innerkirchlichen Debatten dieser Tage fällt niemals sein Name; niemand greift heute seine Anregungen, seine im Kern verblüffend aktuellen Polemiken auf und entwickelt sie weiter, um sie für die heutigen Probleme fruchtbar zu machen. Während die Brücke zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst, die hierzulande Otto Mauer geschlagen hat, nach wie vor besteht, hat Pater Focke mit seinem frühen Weggang eine Leerstelle hinterlassen: Das fruchtbare Gespräch zwischen Klerikern und Schriftstellern findet heute allenfalls im Verborgenen statt, hat aber selbst in der kirchennahen österreichischen Öffentlichkeit kein Forum, keinen Ort, sich zu entfalten; der Kontakt zwischen Kirche und Gegenwartsliteratur ist unterbrochen. Pater Focke wird vermisst - heute noch mehr als vor 30 Jahren.

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