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Rudolf Felmayer zum Gedächtnis

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Aus ästhetischen Gründen schrieb er keine einzige Zeile, wie er in dem kurzen Essay „In eigener Sache“ zugab. Nach der ersten Freude über die eigenen Möglichkeiten, den ersten dichterischen Hervorbringungen, stellte er sich die existentielle Frage, für wen er schreibe, und weiter, ob er mit seinem Tun zur Erhellung des Lebenssinnes beitragen könne. Ohne Kierkegaard gelesen zu haben wußte er um die drei Möglichkeiten der Existenz: die ästhetische, die ethische und die religiöse. Nur bestand die Grundfrage für ihn nicht in irgendeiner Alternative, sondern — und hierin erwies er sich als echter Österreicher — in der schwierigeren Synthese.

Fast unbemerkt von der großen Masse und von den Mächtigen des Tages ging ein Mensch durch unsere Stadt, ein Dichter und Freund und Förderer von Dichtern, der ein Heilmittel für unsere Schmerzen entdeckt oder gefunden hatte, es in acht schmalen Büchern 33 Jahre lang anbot, nannte, umschrieb und umzürnte, es vorlebte, und in tausend beratenden Gesprächen an viele Schüler und Freunde weitergab. Als er am 27. Jänner 1970 starb und am 3. Februar begraben wurde, ließ er seine Botschaft als geistigen Auftrag zurück. Rudolf Felmayer — von ihm ist die Rede — 1897 in dem kunsterfüllten Wien der Jahrhundertwende geboren, von praktischen Eltern in einen praktischen Beruf gedrängt, fand schon früh Beziehungen zur Bildenden Kunst, zu den Schätzen der Wiener Museen, besonders auch zu deren exotischen Abteilungen. Literarisch waren es der Goethe des Westöstlichen Diwans und des Faust II,

Hofmannsthal, die Expressionisten, Loerke, Georg Heym, später auch Nestroy, Karl Kraus und Bert Brecht, an denen er zum Künstler reifte. Der faschistische und nationalsozialistische Terror, der ihm Arbeitslosigkeit, Not, Verlust von nahestehenden Menschen aufzwang, schärfte sein soziales Verantwortungsbewußtsein, seine polternd-kritische, immer höchst tätige Liebe zu aller Kreatur. Das dritte Moment seines Wirkens war zugleich das erste: religiöses Suchen und Finden war bei ihm nicht Reaktion auf Erfahrungen, sondern innerster Antrieb. Er selbst sagt: „Ich versuche wieder, wie es am Beginn der Menschheitstage geschah, eine sakrale Kunst“... Wie am Beginn der Menschheitstage, dies ist nicht zu übersehen. Feimayers Suchen geht nach der Re-ligio als Seinsrückbindung, wie sie allen Konfessionen und Weltanschauungen zugrunde liegt, sich um das Rätsel des Todes ahnungsvoll verdichtet.

So gesehen sind Rudolf Felmay-ers Dichtungen ein einziger großer Hinweis. Immer wieder beschäftigt ihn das uralte Thema der Nekyia, der Hadesfahrt, wie es seit dem sumerischen Gilga-mesch-Epos, seit dem 11. Gesang der Odyssee, dem 6. Gesang von Vergils Aeneis, seit Dante, den mittelalterlichen Totentänzen, seit Faust II bis zu Hofmannsthals „Jedermann“ und dem Großen Welttheater uns begleitet Felmayer weicht aber jeder traumhaften, nur ästhetischen Behandlung des großen Themas aus, er sieht die Todesfahrt als Passion, als Kreuzigung und Kreuzabnahme und Auferstehung. Zweimal behandelte er die Passion Christi, in 14 Sonetten nach den Dürer-Kupferstichen und in 14 freien Rhythmen, anachronistisch, als die Passion eines Verfolgers in unserem Jahrhundert. In Feimayers umfangreichster dramatisch-lyrischen Dichtung, dem „Barocken Kondukt“, ist es der Abstieg eines toten Kaisers in die Kapuzinergruft, und in seinem letzten, 1969 erschienenen Band „Der Wiener und sein Tod“ sind es die Wiener Leute vom Thury-grund, von Lichtenthai und der Rossau, seiner heimatlichen Umgebung, die zwischen Kaffeehaus und Untermietzimmer, in Bombennacht und Sommerfrische auf eine äußerste, unausweichliche Weise ihre Begegnung mit dem immer noch unerkannten Jenseits erfahren.

Anders als die Duineser Elegien und Trakls Gesänge der Abgeschiedenen entstanden die Dichtungen des guten „Rudi“, wie er allgemein genannt wurde, in steter, bemühter, opferbereiter Weltnähe. Er war Lektor im Kulturamt der Stadt Wien, später der Städtischen Büchereien und im Rundfunk, war aktivster Mitarbeiter an Zeitschriften, in literarischen Organisationen, in der Volksbildung, Herausgeber von Anthologien und Buchreihen, von denen „Neue Dichtung aus Österreich“ in über 200 Bänden ein Kompendium der österreichischen Literatur unseres Jahrhunderts darstellt. Immer dem Neuen aufgeschlossen, als Kritiker und Juror intransigent, war er doch nie ein Bekämpfer des Establishments, der sich selber etablieren will.

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