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Heiligkeit heißt Berufung
Der Apostel Paulus verwendet in seinen Briefen verschiedene Ehrentitel für seine Gemeinden. Einer davon heißt: „Berufene Heilige”, ein anderer „Geheiligte in Christus Jesus”. Eigenartig, daß Paulus diese Bezeichnung allen Gemeindemitgliedern zuerkennt! Bei näherer Erforschung des Hintergrunds werden zwei Elemente dieser Bezeichnung deutlich: Sie ist zum einen keine paulinische Erfindung, sondern geht zurück auf alte jüdische Tradition: Schon im Buch Levi-tikus ist zu lesen, daß die zum Gottesdienst versammelte Volksgemeinschaft eine heilige Versammlung vor Gott darstellt (vgl. Lev 23). Zum anderen hat die Bezeichnung ursprünglich und auch bei Paulus nichts mit einer ethisch-moralischen Qualifikation oder Qualität zu tun, sondern mit einer durch und durch theologischen: Heiligkeit verweist auf das Ausgesondert-Sein des Menschen durch Gott selbst, auf seine Berufung (wie Paulus ja auch hervorhebt), auf die Zugewiesenheit und Verwiesenheit des Glaubenden auf Gott. Deshalb ist für Paulus und für die frühe Kirche „heilig” ein Synonym für „getauft”.
Ohne Zweifel: Im Laufe der Kirchengeschichte hat sich die Wortbedeutung geändert. Seit Ulrich, dem Bischof von Augsburg im 10. Jahrhundert, werden Menschen feierlich heiliggesprochen, und es wird ihnen damit ein bestimmter Status attestiert: Sie haben ihr Lebensziel bei Gott erreicht, im Volksglauben ist damit die Vorstellung einer perfekten Biographie verbunden. Diese Manier der Heiligsprechung hat in den letzten Jahren eine neue Blüte erfahren und da und dort, wenn allzu eifrig nach dem notwendigen Wunder gesucht wird, auch Stilblüten getrieben.
In manchen Fällen wird das Verfahren durch den Volkskonsens durchaus ersetzt - wie bei Oscar Bomero, Doro-thee von Flüe und vermutlich bald auch Mutter Teresa,
Trotzdem bleibt die Frage: Was feiern wir in den nächsten Tagen? Ist es ausschließlich der Dank für die vielen auch Ungenannten, die ein neues Dasein bei Gott leben dürfen, oder sind wir mitgemeint: Wir, die Getauften, die wir für dieses Geschenk danke sagen. Vermutlich das eine wie das andere - damit auch in diesem Punkt das Erbe der frühen Kirche wach bleibe!
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