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Heilszeichen in schweren Stunden

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Weder magisches Ritual noch nachträglicher „Passierschein“ in den Himmel ist die Krankensalbung, sondern ein als Heilmittel besonderer Art zu verstehendes, wiederentdecktes Sakrament.

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Weder magisches Ritual noch nachträglicher „Passierschein“ in den Himmel ist die Krankensalbung, sondern ein als Heilmittel besonderer Art zu verstehendes, wiederentdecktes Sakrament.

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Sind Sie mir bitte nicht böse, aber so weit ist es bei mir noch nicht!“ Diese oder ähnliche Antworten kann der Kran-ken(haus)seelsorger auch heute noch relativ häufig hören, selbst dann, wenn er sehr behutsam und in einem längeren Gespräch auf die Möglichkeit des Empfanges des Sakramentes der Krankensalbung hinweist. Von den Angehörigen von schwerkranken Patienten wieder kommt nicht selten die Bitte: „Wenn es schlechter werden sollte, sorgen Sie bitte dafür, daß er (sie) die Sterbesakramente bekommt. Aber bitte erst, wenn er (sie) es nicht mehr mitbekommt.“ Und es gehört leider nicht in das Reich der Fabel, daß immer noch Angehörige sogar nach Eintritt des Todes die Spendung der Krankensalbung erbitten, damit die entsprechenden ehrenhaften Angaben auf die Todesanzeige gedruckt werden können.

Anderseits gibt es zunehmend auch andere Erfahrungen. So bitten auch nicht wenige Patienten von sich aus um das Sakrament der Krankensalbung. Dabei verweisen diese Mitchristen darauf, daß sie entsprechende Feiern (etwa in der Pfarre bei Krankentagen) schon miterlebt haben. Manche haben auch bereits einmal selbst das Sakrament der Krankensalbung empfangen und bitten nun wegen der Verschlechterung ihres Zustandes neuerlich darum.

Diese Erfahrungen zeigen, daß es ein langer Weg ist, vom Verständnis der „Letzten Ölung“ hin zu dem der Krankensalbung zu kommen. Den Anstoß für diese Entwicklung gab in besonderer Weise das II. Vatikanum, besonders durch die Ausführungen in der Liturgiekonstitution (Artikel 73-75).

Die Wende im Verständnis dieses Sakramentes wird dabei mit den Worten des Konzils selbst am treffendsten dargestellt: „Die .Letzte Ölung', die auch - und zwar besser — .Krankensalbung' genannt werden kann, ist nicht nur das Sakrament derer, die sich in äußerster Lebensgefahr befinden“ (ebenda 73) und „Die Zahl der Salbungen soll den Umständen angepaßt werden; die Gebete, die zum Ritus der Krankensalbung gehören, sollen so revidiert werden, daß sie den verschiedenen Verhältnissen der das Sakrament empfangenden Kranken gerecht werden“ (ebenda 75). Auf dieser Basis wurde in den Jahren nach dem Konzil der Ritus für die Feier der Krankensakramente erneuert.

Was sind nun aus heutiger Sicht die Grundanliegen dieser Erneuerung?

Ausgangspunkt für eine umfassende Begleitung des Kranken ist das Ernstnehmen des Kranken in seiner ganzen Persönlichkeit. Dazu gehört auch, daß Krankheit und Leid nicht bagatellisiert oder gar verherrlicht, sondern in ihrer Tragik ernst genommen werden. So wird auch im Einführungswort der deutschen Ausgabe der „Feier der Krankensakramente“ darauf verwiesen, wie schwer eine ernste Krankheit den Menschen auch innerlich betreffen und zur Verzweiflung führen kann.

Daraus resultiert auch, daß der Glaube den Kranken und seine Umgebung ermutigt, Krankheit und Leid zunächst einmal verantwortungsvoll mit allen Mitteln zu bekämpfen. In der Vergangenheit wurden oft Kranke zu früh zur passiven „Annahme“ der Krankheit motiviert, statt zuallererst alle Kräfte zur Heilung zu mobüi-sieren.

Gerade in diesem Grenzbereich wird das Unvergleichliche der christlichen Glaubens- und damit Lebenshüfe deutlich, nämlich solange es nur einigermaßen sinnvoll und vertretbar ist, die Bitte und Sorge um Gesundung in den Mittelpunkt zu rücken und auch vom Glauben her den Kampf der Ärzte, des Pflegepersonals und der Angehörigen um Genesung zu unterstützen. Für den ernsthaft und bedrohlich Erkrankten geschieht dies in besonderer Weise auch in der Feier des Sakramentes der Krankensalbung.

Freilich wird dann auch jene Dimension angesprochen, die heute generell so massiv verdrängt wird, die Möglichkeit, daß die vorliegende Krankheit auch zum Tod führen kann. Sobald letzteres sich als Realität verfestigt, gilt es Kraft zu sammeln für den letzten Weg. Das Sakrament der Krankensalbung möchte eine herausragende Einladung sein, Krankheit und Leid auch im größeren Zusammenhang des Heilsplanes Gottes zu sehen.

Bedeutsam aber ist, daß dem Kranken nicht nur mit Worten zugerufen wird, daß er in Gott geborgen ist. Je mehr ihn nämlich dabei der Seelsorger, die Angehörigen und die Mitchristen begleiten, desto mehr darf der Betroffene in der Begleitung der Mitmensehen die grenzenlose Begleitung Gottes erfahren oder zumindest erahnen. Deshalb sollte auch die Feier der Krankensalbung nicht ein für sich isoliertes Ereignis sein und nach Möglichkeit nicht unter „Ausschluß der Öffentlichkeit“ gefeiert werden. Zunehmend darf heute in Familien daheim, in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, aber auch bei sogenannten Krankentagen in den Pfarren erlebt werden, wie fruchtbar die Feier der Krankensakramente für alle werden kann, wenn es eine gemeinschaftliche Feier ist.

Wenn der Priester bei der Salbung des Kranken bittet, daß der Herr in seinem reichen Erbarmen dem Kranken helfe, ihm mit der Kraft des Heiligen Geistes beistehe, ihn von den Sünden befreie, rette und in seiner Gnade aufrichte, dann wird der Kranke hineingestellt in die alles umfassende Liebe und Geborgenheit Gottes. Wer schon erleben durfte, wie sehr in einer so verstandenen Feier selbst am Rande der Verzweiflung stehende Menschen in ihrer Not echten Trost erhalten und durch die Erfahrung der Gegenwart Gottes tatsächlich gestärkt und aufgerichtet werden, wird diese Feier nicht mehr als magisches Ritual abtun.

Die Krankensalbung ist dann nicht einfach eine Art „Draufgabe“, weil alle medizinischen Künste am Ende sind, sondern ein bewußtes Sich-Gott-total-Anver-trauen, wissend, daß Gott nicht nur ein verheißender, sondern ein treuer Gott ist, der zum Menschen steht, mit ihm mitgeht und ihm jenes umfassende Heil anbietet, das durch Leid und Not und auch durch den Tod nicht zerstört werden kann.

Wer selbst schon einmal die trostvolle Erfahrung im Empfang der Krankensalbung geschenkt bekommen hat und öfters bei dieser Feier dabeisein und mitfeiern darf, wird betroffen, daß immer noch so viele „Angst“ vor diesem Sakrament haben und diese Quelle des Heilsangebotes, sei es zur Genesung oder, wenn es sein muß, zur persönlichen Gestaltung des Weges auf den Tod zu, nicht annehmen.

Es bedarf noch vieler Anstrengungen, den Zugang zum Sakrament der Krankensalbung verstärkt zu erschließen. Diese Aufgabe ausschließlich der „amtlichen“ Verkündigung zuzuordnen, ist zu wenig. Alle Christen sind gerufen, (rechtzeitig) die eigene Einstellung zu Krankheit, Leid und Tod zu hinterfragen und zu gestalten und auch mit anderen (in der eigenen Familie, in pfarrlichen Gruppen, im Verwandten-und Bekanntenkreis) darüber zu kommunizieren, auch wenn dies in unserer Gesellschaft nicht gerade als „in“ gut. Gemeinsam sollten wir uns auch befragen lassen, wie wir mit unseren Kranken, Leidenden und Sterbenden umgehen, ob und wie wir diese begleiten, was wir mit ihren und mit unseren Gefühlen, Ängsten, Tränen und Hoffnungen tun und wie wir dabei die heilenden Kräfte des Glaubens erbitten und annehmen können.

Das Sakrament der Krankensalbung ist weder Garant für eine plötzliche Genesung, noch ein Zaubermittel, um Schmerzen, Ängste und Tränen zu vertreiben, weder ein magisches Ritual an dem, der das Geschehen nicht mehr „mitbekommt“, noch ein nachträglicher „Passierschein“ für den Eintritt in das ewige Leben. Vielmehr ist dieses Sakrament ein verdichtetes Heilsangebot an die Kranken, die Quelle der Einheit mit Jesus Christus angesichts körperlicher und seelischer Not, der so heute jenen heilenden und-rettenden Dienst durch die Kirche fortführt, den er in seinem irdischen Wirken vor fast 2000 Jahren so zeichenhaft und nachdrücklich wirksam gesetzt hat.

Der Autor ist Universitätsdozent für Pastoraltheologie und als ständiger Diakon auch in der Kranken- und Krankenhausseelsorge tätig.

Beiträge über die Sakramente erschienen 1986 in den FURCHE-Ausgaben 21.22,24,26, 27, 29,34 und 39.

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