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Hilfe zur Selbsthilfe

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Gefragt sind der mündige Bürger und der mündige Laie

Polizisten hatten die Wohnungstür aufgebrochen, weil der Verwesungsgeruch ins Stiegenhaus gedrungen war. Eben trug man die Leiche der alten Frau im Sarg aus dem Haus. „Warum hat sich die Fürsorge nicht um sie gekümmert?“ fragte einer. „Nicht einmal die Pf arrkaritas ist mehr, was sie war. Sonst könnte das nicht passieren!“ meinte eine andere.

Und keiner fragte: „Warum ist sie mir nicht abgegangen?“

Wir verstehen uns heute weitgehend als Konsumenten dieser Gesellschaft, des Wohlfahrtsstaats und der kirchlichen Sozialeinrichtungen. Dabei hofft jeder, etwas mehr herauszubekommen, als er investiert — ideell und materiell. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Im Gegenteil: Was öffentliche Verwaltung und Erhaltung der Institution kosten, ergibt per Saldo ein beträchtliches Defizit. Unser Sozialstaat wird bald nicht mehr finanzierbar sein.

An der Entstehung dieser Konsumhaltung, die in erster Linie „Was habe ich davon?“ fragt und den einzelnen sehr genau rechnen läßt, „was Staat und Gesellschaft und Kirche ihm schulden“, sind weder Politiker noch kirchliche Amtsvertreter ganz unschuldig.

Zu lange haben politische Versprechungen immer größere Bedürfnisse geweckt und die Illusion geschaffen: „Gebt uns eure Stimme und euer Steuergeld, dann werden wir alles für euch erledigen!“ So sehr hat sich die Kir-

che um „zeitgemäße, moderne Verpackung“ gekümmert, daß manche dabei das Maß verloren haben und die Inhalte beinahe nebensächlich scheinen.

Was also wäre zu tun?

Vom einzelnen:

• Ideen entwickeln und das Denken nicht den anderen überlassen;

• unterscheiden, welche Ziele aus eigenem erreicht werden kön-

nen und wo es notwendig ist, institutionalisierte Hilfe in Anspruch zu nehmen;

• sich in diesen Bereichen genau ‘über Rechte und Pflichten informieren;«

• sich zu kleinen Gruppen zusammenschließen, die dem einzelnen Stütze durch Beziehung geben (Familienrunden, Selbsthilfegruppen für besondere In itiativen usw.)

Von Staat und Gemeinde:

• nach dem Subsidiaritätsprinzip Einzelinitiativen fördern und ergänzen, aber nicht durch Institution ersetzen;

• den Familien Pflegebeihilfe leisten, die dann Pflegekinder, alte oder behinderte Angehörige selbst betreuen, anstatt wesentlich teurere Heimplätze in Anspruch zu nehmen;

• wo es möglich ist, auch in Spitälern bestimmte Pflegedienste durch Angehörige leisten lassen;

• statt nur gemeindeeigene Wohnsilos zu bauen, die Sanierung von Althausbestand sowie die Begrünung von Dächern und Hinterhöfen in Städten fördern.

Auch so bleibt dem Staat noch viel an organisierter Hilfe zu leisten, aber das ist finanziell leichter zu schaffen, und vor allem: der Mensch bleibt im Mittelpunkt!

Von der Kirche:

• Laien nicht vornehmlich als Objekt, sondern ebenso als Subjekt der Pastoral sehen, und zwar nicht nur dort, wo Priestermangel herrscht, sondern in manchen Bereichen unabdingbar (in Familie und Schule, in Berufs- und Gesellschaftsleben);

1 aus einem neuen Verständnis,

daß Weihepriestertum und allgemeines Priestertum einander bedingen und ergänzen, Verantwortungen und Aufgaben teilen: Laien sind mehr als nur „verlängerter Arm“ des Priesters, sie sind „von Gott gerufen,… ihre eigentümliche Aufgabe … zur Heilung der Welt auszuüben.“ (Kon zilstexte K 31).

Diese Sicht erfordert freilich den Mut, gegenseitige Ängste abzubauen, aber nur so kann Vertrauen wachsen und Hoffnung gelebt werden. Das Motto des Katholikentags wird dann lebendig und wirksam, wenn der Staat die Mündigkeit des Bürgers und die Kirche die Mündigkeit des Laien ernst nimmt!

Die Autorin ist AHS-Lehrerin, stellv. Vorsitzende des Katholikentagskomitees und kandidiert für den Wiener Gemeinderat.

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