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Hitler nannte ihn Volksschädling

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Zum 100. Geburtstag des katholischen Philosophen und Ethikers Dietrich von Hildebrand wurde an seinem Wohnhaus, Wien 1., Habsburgergasse 5, eine Gedenktafel enthüllt.

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Zum 100. Geburtstag des katholischen Philosophen und Ethikers Dietrich von Hildebrand wurde an seinem Wohnhaus, Wien 1., Habsburgergasse 5, eine Gedenktafel enthüllt.

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Dietrich von Hildebrand war ein bedeutender Philosoph, ein mutiger Kämpfer und ein überzeugter Katholik. Damit sind die drei entscheidenden Merkmale seines Lebens genannt, die in ihm zu einer außerordentlichen Persönlichkeit ver-

schmolzen, harmonisch eingebettet in eine Fülle von nützlichen und bereichernden Begabungen, wie etwa sein verblüffend gutes Gedächtnis und seine große Musikalität. Geboren wurde er am 12. Oktober

1889 als Sohn des Bildhauers Adolf von Hildebrand in Florenz und wuchs in einem liberalen Elternhaus auf. Angezogen von dem Ruf Edmund Husserls ging er schon mit 17 Jahren nach Göttingen, um Philosophie zu studieren; dies aber nicht, um einen akademischen Titel „getrost nach Hause zu tragen“, sondern getrieben von einer außergewöhnlichen Sehnsucht nach Wahrheit. Früh erwachte in ihm auch das religiöse Interesse. Aus seiner Kindheit wird berichtet, er habe in einem Streitgespräch mit den durchwegs älteren Schwestern von der Gottessohnschaft Christi in einer so flammenden Weise gespro-

chen, daß diese die Szene niemals vergaßen. (Siehe Hellmut Laun im Bericht über seine eigene Konversion „So bin ich Gott begegnet“, Linz 1984.) Mit 25 Jahren wurde Dietrich von Hildebrand katholisch. Man schrieb das Jahr 1914.

Sehr bald hatte sich sein Glaube und sein philosophischer Eros in besonderer Weise zu bewähren: Noch vor der politischen Machtergreifung begann die braune Ideologie die Gehirne und Herzen der Menschen zu erobern. Große und begabte Männer, gerade auch Philosophen, Künstler und Professoren, fielen, in einer heute unbegreiflichen Weise, dem Gedankengut des Nationalsozialismus zum Opfer -man denke nur an Martin Heidegger. Nicht so Hildebrand: „Und ich sage Ihnen, die Nazis sind die reinsten Tiere“, sagte er zu einem seiner Doktoranden. So zu reden, war damals hochgefähr-lieh, und Hildebrand wäre nicht der erste gewesen, der es mit dem Tod bezahlte. 1933 floh er von München nach Wien und setzte dort seinen Kampf gegen den Nationalsozialismus fort - äußerlich ein David, der gegen seinen hakenkreuz-be-wehrten Goliath ohne Macht dastand, in Wirklichkeit aber eben doch der ewige David des Geistes, der den Riesen am Nerv seines Lebens trifft. Hitler hat das irgendwie begriffen und nachweislich mit Schuschnigg über den „Volksschädling Hildebrand“, den es zu vernichten gelte, gesprochen oder vielmehr, historisch richtiger, gebrüllt.

„Es kann sein, daß man sich damit begnügt, Ihnen die Augen auszustechen, statt Sie umzubringen“ , warnte ihn der Chef des Österreichischen Sicherheitswesen vor einem möglichen Attentat des nationalsozialistischen Untergrunds. Unbeirrt setzte Hildebrand seinen Kampf fort. So nannte er den Nationalsozialismus öffentlich eine „Pest“, einen „größenwahnsinnigen, blasphemischen Hochmut“ und „den überspanntesten Relativismus und Subjektivismus, den die Welt bisher sah“ - und dies alles 1935, als die Nazis die Welt mit der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß über ihre Methoden längst in Kenntnis gesetzt hatten. Begreiflich, daß auch überzeugte Nicht-Nazis nach Mitteln und Wegen Ausschau hielten, um irgendwie durchzukommen. Wer hätte auch die Kraft gehabt, sich Auschwitz vorzustellen oder gar daran zu glauben! Darum wollte man „Brücken bauen“, wie auch viele in katholischen Kreisen zu sagen pflegten. Umso erstaunlicher, wie klar dieser junge Philosoph Dietrich von Hildebrand die Lage begriffen hatte: „Was Deutschland, was Europa braucht, ist nicht eine Reform des Nationalsozialismus, sondern eine völlige Liquidierung desselben“ schrieb er und erteilte damit jedem Versuch eines Brük-kenschlages eine unmißverständliche Absage.

Als 1938 dann der Anschluß trotz aller Bemühungen kam, floh Hildebrand im letzten Augenblick über die Grenze und gelangte auf Umwe-

gen in die Vereinigten Staaten, die seine endgültige Heimat wurden. Es folgten .Jahre des Lehrens an der Fordham-University und engagierte Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Entwicklungen in der Kirche. 1977 starb er in New York.

Hildebrand war, wie seine Freunde erzählen, ein Vulkan, der immer im Mittelpunkt stand und seine Hörer durch seine starke, für alle Bereiche des Lebens geöffnete, Persönlichkeit zu fesseln wußte. Das geschriebene Wort hingegen war, wie er selbst wußte, nicht seine Stärke. Sein Stil ist einfach, und so kommen seine Gedanken dem Leser oft in einem ärmlichen, unscheinbaren Gewand entgegen. Da das Wort von den „Kleidern, die die Leute machen“ leider auch für die Philosophie eine gewisse Gültigkeit hat, wundert es nicht, wenn Hildebrand wenig Beachtung fand und

heute noch findet, viel weniger jedenfalls, als er verdiente.

Und doch, er war ein genialer, selbständiger Denker, der in höchstem Maße die Urtugend des Philosophen besaß: Es gab für ihn nur eine Autorität, und zwar die der Wahrheit. Keine „Schule“, keine prof essorale Mehrheit, kein Zeitgeist und keine Freundschaft konnten ihn abhalten, zu denken und zu sagen, was er für wahr hielt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Unbeeindruckt vom Nimbus Immanuel Kants bezeichnete er die viel gepriesene „kopernikanische Wende“ des Königsberger Philosophen als einen Weg in die Irre. Ebenso wichtig -vor allem für das kirchliche Leben -war das Durchschlagen eines anderen gordischen Knotens: Durch seine kritische Auseinandersetzung mit der gängigen, augustinisch geprägten Ehelehre leitete er eine Entwicklung ein, die nicht nur viele damals junge Theologen begeisterte, sondern letztlich zum großen Durchbruch in der Ehelehre des Zweiten Vatikanischen Konzils führte. Im hohen Alter schrieb er noch ein großes Buch über das Urthema der Menschheit aller Zeiten - die Liebe.

Übrigens hat Hildebrand in Josef Seifert, dem derzeitigen Rektor der Internationalen Akademie für Philosophie in Liechtenstein, einen Nachfolgergefunden, dersein Werk weiterführt und es versteht, die Bedeutung Hildebrands für die großen Probleme der Philosophie aufzuzeigen - unter anderem dadurch, daß er im Geiste Hildebrands

den Weg „zu den Dingen selbst“ zurückgeht. So der Titel eines seiner vielen Bücher („Back to things in themselves“). Es gibt keine Hildebrand-Schule, weil diese Schule gerade darin besteht, keine Schule zu bilden, sich auf keinen Meister und keine Tradition einzuschwören, sondern sich der Wahrheit und nur ihr verpflichtet zu wissen.

Vielen ist Hildebrand auch noch bekannt - den einen in guter, anderen in weniger guter Erinnerung -als ein kraftvoller Kritiker bestimmter Strömungen in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Zuzugeben ist wohl: Hildebrand hat seine Kritik nicht sehr diplomatisch verpackt und wenig psychologische Rücksicht genommen. Aber.dasläßt sich heute leichter sagen als zu dem Zeitpunkt, als das „Trojanische Pferd in der Stadt Gottes“ und „Der verwüstete Weinberg“ erschienen, man hätte mit diesem etwas rauhen Laokoon reden sollen! Dann nämlich wäre man auf wichtige, entscheidende Fragen gestoßen und hätte wahrgenommen, daß nicht ein Nörgler am Werke war. Wer aufmerksam liest, vernimmt in den beiden Büchern einen tief berührenden Grundton des Schmerzes und der Klage eines in seiner Liebe zur Kirche verwundeten Mannes.

Wie immer man die beiden genannten Schriften im einzelnen bewerten mag: Hildebrand war ein mündiger Laie im besten Sinn des Wortes, man könnte sagen: wie ihn das Konzil erträumte. Er kannte seinen Glauben, liebte ihn und verstand es, ihn weiterzugeben: „Jeder, der das Glück hatte, Hildebrand kennenzulernen und zu hören, war beeindruckt von seiner Fähigkeit, die Schönheit des “katholischen Glaubens zum Leuchten zu bringen“ , erzählt stellvertretend für viele aus dem großen Freundeskreis etwa Hellmut Laun und beschreibt ihn als „weiten und gütigen“ Menschen, der sich besonders in der schwierigen Zeit seiner Konversion als währer Freund erwies. Nicht wenige Menschen haben durch Hildebrand zu Glauben und Kirche gefunden.

Dem religiösen Schrifttum hat Hildebrand auch noch ein anderes, bemerkenswertes Buch hinzugefügt, und zwar durch seine „Umgestaltung in Christus“. Ausgehend von der Berufung aller zur Heiligkeit legt der Ethiker und Philosoph Hildebrand die Grundgesetze des geistlichen Lebens dar, und zwar so, daß alles offen bleibt für die Akzentsetzungen der einzelnen Schulen der Spiritualität.

Philosophie und Glaube, politisches Engagement und Spiritualität bildeten in dem katholischen Christen Hildebrand eine harmonische Einheit. Das war die logische Folge seines Katholizismus. So gesehen könnte man sagen: Er hat eine „Philosophie und Theologie der Befreiung“ geschaffen, bevor es den Begriff überhaupt gab, und seine Orthodoxie führte ihn unmittelbar in die Orthopraxis seines prophetischen Kampfes gegen Hitler. Bedenkt man die Klarheit, mit der der Laie Hildebrand die „Zeichen der Zeit“ im Licht des katholischen Glaubens zu deuten verstand, wird man zugeben müssen: Er verkörperte damals die authentische Tradition der Kirche klarer und reiner als so mancher Würdenträger! Die Schwierigkeiten, die ihm daraus erwuchsen, konnten seinen Glauben an die Kirche nicht erschüttern. Hildebrand hätte nie im Traum daran gedacht, eine Art innerkirchlichen Klassenkampf zu führen, oder gar sich dem authentischen Lehramt der Kirche zu widersetzen.

Sein Credo spiegelt eine kleine Geschichte, die er selbst mit einer Art dankbarer Begeisterung zu erzählen pflegte: Zur Zeit seiner Konversion hatte ihm, dem jungen Philosophen, der eine glänzende Laufbahn vor sich zu haben schien, ein Priester gesagt: „Merken Sie sich, Herr Professor, nicht die Kirche braucht Sie, sondern Sie brauchen die Kirche!“

Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-theologischen Hochschule. Heiligenkreuz und Generalsekretär der Wiener Katholischen Akademie.

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