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EIN EUROPÄER IN DEN USA: DIETRICH VON HILDEDRAND

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In Sahburg konnte man ihn in den letzten Jahren mehrfach sehen, diesen jetzt siebzigjährigen Jüngling und Feuerkopf, der mit Osterreich nicht zuletzt durch seine aktive Anteilnahme am Kampf der Jahre 1935 bis 1938 verbunden ist: Dietrich von Hilde-bra n'd.

Geboren im selben Jahr wie der schreckliche Verführer, 1889, in Florenz, als Sohn des berühmten Bildhauers Adolf von Hildebrand, Sproß also der bekannten Münchner Patrizierfamilie, die Deutschland eine Reihe bedeutender Gelehrter und Persönlichkeiten geschenkt hat, wächst der junge Dietrich in Florenz und München in einer Welt auf, die reich gesättigt ist durch die Pflege des Schönen, durch humanistische Bildung, durch jenes deutsch-patrizische Europäertum, das unserem 19. Jahrhundert so helle, freundliche Lichter aufgesetzt hat. Der junge Mann studiert Philosophie bei Husserl in Göttingen und bei Reinach, promoviert 1912 mit einer Arbeit über die Idee der sittlichen Handlung, die bereits sein Hauptgebiet als Denker ankündet, eine Neubegründung der Ethik. Hildebrand wird dann in seiner Heimatstadt München Dozent und Professor, steht mit Max Scheler in enger Verbindung und konvertiert im ersten Weltkrieg, 1916, zum Katholizismus. In eben diesem München, in dem Adolf Hitler in den Salons der Bruckmann und Hanfstängel stundenlang monologisierend seine Gedanken zur Rettung der Deutschen und zur Verbesserung der Welt entwickelt, wird Dietrich von Hildebrand zum entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus. Erinnern wir uns hier darap, daß München, sehr im Unterschied zu vielen anderen Universitätsstädten, allein einen Blutzeugen des aktiven Kampfes gegen Hitler auf akademischem Boden erhalten wird, in der Gestalt des Ethikers und Philosophen Kurt Huber, der in Zusammenhang mit der Protestaktion der

„weißen Rose“ verhaftet und zum Tode verurteilt wird, 1943/44. Zehn Jahre zuvor tritt hier bis zur Machtergreifung Hitlers Dietrich von Hildebrand gegen diesen Mann auf. Im März 1933 flieht er nach Österreich und gründet hier im Herbst desselben Jahres die Zeitschrift „Der Christliche Ständestaat“, die er bis zum „Anschluß“ 1938 redigiert, als das wichtigste und einzige geisteswissenchaftlich-politische Organ des Kampfes gegen den Nationalsozialismus. Es gehört mit zur Tragödie des Schuschnigg-Staates, daß dieser die Kräfte der deutschen Opposition nicht anzusprechen und die deutsche Emigration nicht genügend zu sammeln vermochte. Dietrich von Hildebrand hat getan, oft in einem Einmannkampf, was er vermochte.

Am 11. März 1938 gelingt ihm, auf den die Schergen des Dritten Reiches schon lange warten, im letzten Augenblick die Flucht. Über Preßburg geht es nach Florenz, nach

Fribourg, Paris. 1939 wird er für einige Monate Professor in Toulouse. In gefährdeter, abenteuerreicher Flucht durch Spanien, wo ihn vor der Auslieferung an Hitlers Henker der Nuntius in Madrid rettet, gelangt er endlich nach Amerika. Seit 1941 wirkt er als Professor an der Fordham University. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges erreicht sein Wort wieder die alte Heimat, in Gestalt seiner Bücher: „Metaphysik der Gemeinschaft“, „Liturgie und Persönlichkeit“, „Umgestaltung in Christus“ (sein vielleicht erfolgreichstes Werk, zuvor unter Pseudonym Peter Ott erschienen), „Menschheit am Scheideweg“ und, in den allerletzten Jahren, „Wahre Sittlichkeit und Situationsethik“ und „Christliche Ethik“.

Es ist also der christliche Ethiker, der hier das Wort ergreift und der die große Verworrenheit politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse unserer Zeit auf ihre Gründe hin analysiert: auf ein großes Nichtwissen, Nichtkennen wahrer, seinsgerechter und lebensgerechter Sittlichkeit. Dietrich von Hildebrands, dieses Erziehers der Deutschen, Gedanken kreisen dabei immer wieder um das eine und Wesentliche: um die Person, die nur durch die Liebe reift und die Ruhe, wahren Frieden nur findet in der Einwurzelung in Christus. Symptom unserer Zeit: wie der ältere, andere, große Erzieher der Deutschen, Friedrich Wilhelm Förster, hat dieser Mann weder in seiner alten Heimat noch in seiner Wahlheimat in Europa einen Standort wieder gefunden nach der Vertreibung. Man spricht heute viel von europäischer Integration: Sollte sie ehrlich und im guten Sinn zu verstehen sein, müßte sie zuerst und zuletzt die Integration der Europäer mit bedeuten: der freien Europäer, die durch die Unfreiheit ausgetrieben wurden von jenem anderen Europa, das auf den Geist und das Ethos vergaß, damals und heute.

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