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Hoffnung für das Kind?

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Kinder bedeuteten einmal auch materiell etwas: Sicherung für Alter, Krankheit und Unfall. In manchen Bereichen der Dritten Welt ist das heute noch so: Von schuhputzenden, zei-tungsverkaufenden Kindern leben so manche Erwachsene. In unserer Gesellschaft heute bedeuten Kinder auch materiell etwas: nicht gerade Armut, aber ohne Frage eine Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

Und noch mehr: Die Emanzipationswelle baute und baut auf dem Umstand auf, daß Kinder der sogenannten „Selbstverwirklichung“ der Frau im Wege sind. Als emanzipiert mag eine Frau nur gelten, wenn sie berufstätig und frei von jeglicher Form der Windelsorgen ist. Ich halte weder das eine noch das andere für ein christliches Ideal; der „guten alten Zeit“ nachzuweinen, ist aber sicherlich auch in diesem Bereich verfehlt.

In der Gegenwart mausert sich das „Kind“ als gesellschaftliches Problem Nr. 1: Der Geburtenrückgang in den Industrienationen beginnt Ausmaße anzunehmen, die alle Befürchtungen übertreffen. Man hat. oft angenommen, daß materielle Gründe dafür ausschlaggebend sind und gemeint, die Wurzel des Übels liege darin,

daß das Kind den ständigen Kampf gegen den Fernsehapparat, das Auto, kurz den Wohlstand, zu oft verliere.

Es zeigt sich aber immer mehr, daß das allein keine Erklärung ist. Die Gesellschaft schlechthin ist kinderfeindlich: Nicht nur in jenen Extrembereichen, in denen Wohnsiedlungen in den Vereinigten Staaten erbaut werden, in denen Kinderlosigkeit Kaufbedingung ist und die Käufer sich überdies verpflichten müssen, im Falle eines Kindersegens unverzüglich auszuziehen. Die heutige Gesellschaft ist ganz einfach nur auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Erwachsenen ausgerichtet.

Kinder haben keine Lobby, folglich unterliegen sie jedem Interessenkonflikt: Daß Gehsteige mindestens der Normbreite eines Kinderwagens entsprechen müssen, daß Kinder durchaus ein Recht auf Betätigung der Muskeln und der Stimmbänder haben, wird weder von der Industriellenvereinigung noch vom ÖGB mit dem Nachdruck vollen politischen Einsatzes vertreten. Von den politischen Parteien aber hat man nicht selten den Eindruck, ihr Interesse beginnt erst bei jenem menschlichen Stadium, das so elegant als „Jungwähler“ umschrieben wird.

Damit man mich nicht

mißversteht: ich achte natürlich die unzähligen politischen Sonntagsreden engagierter Medienpolitiker. Ich freue mich auch auf den jetzt angekündigten Regierungsbericht zum Thema Kind. Die Realitäten sprechen anders: Kinder zu haben, ist in dieser Gesellschaft nicht „in“.

Die Neujahrsglocken des Jahres 1979 haben auch das von den Vereinten Nationen deklarierte Jahr des Kindes eingeläutet. Markiert das die Wende?

Ich meine, es markiert Hoffnung. 75 Prozent der Bevölkerung haben bei einer

jüngsten bundesdeutschen Meinungsumfrage den Bevölkerungsrückgang als Nachteil gesehen. Das muß die Politiker hellhörig machen. Die immer noch quantitativ stark vertretene Bevölkerungsschichte „Hausfrau und Mutter“ beginnt immer deutlicher ihr Mißbehagen über ihr mangelhaftes Sozialprestige zu artikulieren. Und auch die Pensionsbilanzen geraten stärker ins Wanken.

Diese Dinge lassen hoffen, daß eine Wende bevorsteht. Zwar haben sie allesamt mit dem christlichen Menschenbild, nämlich der Erfüllung des Menschen in der Familie und im Kind, nicht viel zu tun. Zwar schlägt in ihnen gar nicht durch, daß Kinder immateriellen Reichtum, nämlich einfach Glück, bedeuten.

Aber vielleicht spielen einmal die Umstände der Zeit den christlichen Grundsätzen in die Hände und es setzt sich durch, daß eine kinderlose Gesellschaft eine Gesellschaft mit Todesurteil ist. Und wer wollte das denn wirklich?

• Das Jahr des Kindes hat begonnen. Das bedeutet: Das Kind darf wieder hoffen.

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