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Humor ist — was?

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Jeder lacht — aber wer weiß schon, warum er lacht? Natürlich wissen wir meistens, worüber wir im speziellen Fall lachen. Aber was, sagt .das schon darüber, warum wir überhaupt lachen? Wenige Phänomene im Bereich des Menschlichen und Allzumenschlichen sträuben sich so hartnäckig gegen jede theoretische Erfassung, widersetzen sich so erfolgreich der Erklärung.

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Jeder lacht — aber wer weiß schon, warum er lacht? Natürlich wissen wir meistens, worüber wir im speziellen Fall lachen. Aber was, sagt .das schon darüber, warum wir überhaupt lachen? Wenige Phänomene im Bereich des Menschlichen und Allzumenschlichen sträuben sich so hartnäckig gegen jede theoretische Erfassung, widersetzen sich so erfolgreich der Erklärung.

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Viele gutgemeinte Versuche, die Heiterkeit zum Thema todernster akademischer Auseinandersetzungen zu machen, haben mehr als einmal in Lächerlichkeit geendet. Und mit der Theorie des Humors könnte man mühelos den größten Teil einer Untersuchung über den unifreiwilligen Humor füllen. Immerhin gilt wenigstens die Feststellung, daß der Mensch nur über sich selbst oder etwas, was ihm gleicht, lacht, als unangefochtene Übereinkunft — aber auch hier fand sich einer, der es mit großem Ernst “besser wußte. Charles Lalo erregte mit seinen Versuchen, diesen Satz zu widerlegen, große Heiterkeit, was aber keineswegs seine Absicht war.

Trotzdem muß der Mensch über diese seine Lebensäußerung, das Lachen, immer wieder ernsthaft nachdenken — wenigstens dort, wo er das darf, und so lange er es nicht völlig aufgegeben hat, sich selbst verstehen zu wollen. Und wenn er beim Versuch, zu ernsten Erkenntnissen über das Lachen zu kommen, auch immer wieder komische Schiffbrüche erleidet — er lernt sich dabei doch immer besser kennen.

Wieder haben sich zwei Autoren auf dieses ebenso faszinierende wie gefährliche geistige Abenteuer eingelassen. Ein Franzose und ein Holländer. Im Styria-Verlag, Graz, erschien die deutsche Übersetzung einer Pioniertat: Anton C. Zijderveld bricht mit seiner Untersuchung „Humor und Gesellschaft — eine Soziologie des Humors und des Lachens“ (288 Seiten, öS 195.—) als Soziologe in die Domäne der Philosophen und Psychologen ein, wobei kaum zu verstehen ist, warum es keiner seiner Fachkollegen schon vorher getan hat. Von der kunstgeschichtlich-philosophischen Seite geht der Franzose Michel Melot an einen besonders interessanten und reizvollen Teil-aspekt des Themas heran. Er schrieb eine große Untersuchung über „Die Karikatur — Das Komische in der Kunst“ (Kohlharnmer-Verlag, Stuttgart, 204 Seiten, 30 Farbtafeln, 120 schwarzweiße Abbildungen, ÖS 924.—). Dafür, daß man trotz der Ernsthaftigkeit des Themas, welches das Komische als Forschungsgegenstand nun einmal ist, herzlich lachen kann, sorgen die Illustrationen (alle Abbildungen auf dieser Seite stammen aus dem Werk von Melot).

Um es mit brutaler Offenheit zu sagen: Nach der Lektüre beider Bücher weiß man über die Natur des menschlichen Lachens so viel wie mach der Lektüre eines dicken Buches über Elektrotechnik über die Natur der Elektrizität. Alter Witz zum Thema: Professor fragt Studenten in Prüfung: „Was ist Elektrizität?“ Student antwortet: „Vorhin habe ich es noch gewußt, und jetzt habe ich es vergessen!“ Professor

schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und ruft: „Um Gottes willen, der einzige Mensch, der gewußt phat, was Elektrizität ist, hat es vergessen!“

Ein Witz, über den Physiker am lautesten lachen — was uns bereits einige interessante Aufschlüsse über die (von beiden Autoren betonte) Informationsabhängigkeit des Lachens gibt. Lachen ist eine soziale Handlung und ohne soziale Bezüge nicht verständlich. Und wenn man in Versuchung gerät, den allen Menschen

gemeinsamen Fundus an Lachauslösern überzubewerten, wird man sofort durch die Feststellunig enttäuscht, daß Menschen über dasselbe aus völlig verschiedenen Gründen lachen können.

Melot verweist da auf eine Karikatur in einer uralten Nummer des britischen Humorblattes „Punch“, wo ein Reicher einem Armen etwas gibt Eine Zeichnung, über die heute nur noch mit Mühe gelacht werden kann, und wenn, dann auf Kosten des Reichen. Melot kommt aber zu dem Schluß, daß nur der Arme die Zielscheibe des längst vergilbten Witzes gewesen sein kann. Er verweist auf die tief im Menschen verwurzelte Tendenz, sich auf die Seite des Stärkeren ziu schlagen und den Schwächeren au verspotten, über den Unterlegenen au lachen. Die Versuchung, diese Tendenz au leugnen, ist groß, aber der Versuch hoffnungslos. Mag sein, daß sich hier eine tiefgreifende' Wandlung des menschlichen Reagierens angebahnt hat; mag sein,

daß, wenn die Identifikation mit dem Unterlegenen stärker wird als die Identifikation mit dem Stärkeren, Fortschritte in Sachen der Humanität zu ahnen sind. In weiten Teilen der Wert ist es nicht so weit. Erschütternde Erfahrung polnischer Kulturattaches, die in Afrika mit Filmen über Auschwitz Aufklärungsarbeit über die Bestialität Hitlerdeutschlands leisten wollten — und die Vorführungen wegen eines ebenso stürmischen wie schockierenden Heiterkeitserfolges abbrechen mußten. Möglicherweise firmieren die Restbestände einer solchen Reaktionsweise bei uns als „schwarzer Humor“, der damit als Atavismus entlarvt wäre.

Darüber erfährt man allerdings bei unseren beiden Autoren weniger. Dafür ergibt sich die überraschende Erkenntnis, daß sich das Lachen zu allerletzt in der Bildenden Kunst, in Form der Karikatur, Bahn gebrochen hat. Bei Zijderveld wie bei Melot sind die historischen Exkurse am interessantesten, man liest mit Anteilnahme, wie und worüber Menschen früher gelacht haben, während wir dort, wo über den Humor der Gegenwart geredet wird, schutzlos der todernsten Analyse und Reflexion über das Lachen, und damit einer quälend inadäquaten Methode, ausgeliefert sind. Um nur einige der interessantesten von Zijderveld behandelten Punkte anzuführen: Die integrierende Funktion des Humors konnte wohl nur ein Soziologe so einfach und klar definieren, vor allem aber rollt er anhand der Machtstellung der Hofnarren im Mittel^ alter Sozialverhältnisse auf, er liefert hier Material in Hülle und Fülle für Meditationen über das Lachen auf Kosten anderer und über das Lachen als Ausdruck von Sozialverhältnissen.

Aber: Es ist sehr schwierig, festzustellen, worüber Menschen, warum Menschen einst gelatht haben, und das wirkungsvollste Konservierungsmittel humoristischer Inhalte, die humoristische Zeichnung, die Karikatur, ist sehr spät entstanden. Hier liefert Melot gewaltiges, durch einen vorbildlichen Abbildungsapparat unterstütztes Material und seriöse Analysen. So gesteht er unter den Urahnen der Karikatur Dürer einen wichtigeren Platz zu als dem in diesem Zusammenhang viel öfter erwähnten Leonardo, weil letzterer, auf der Suche nach Mißgestalteten für Porträtierungszwecke, empirisch an die Sache herangegangen sei, während Dürer, von einem „Idealbild“ ausgehend und systematisch alle Verzerrungsmöglichkeiten untersuchend, theoretische Arbeit geleistet habe.

Zum Interessantesten an der Untersuchung des Franzosen Melot gehört der verhältnismäßig breite Raum, der hier der Emanzipation des Humors eingeräumt wird. Denn einerseits ist ein komisches Kunstwerk besonders schwer zu begreifen und au analysieren, dies infolge seiner „doppelten Irrationalität“, einerseits als Kunstwerk, anderseits aber als komisches Werk. Anderseits aber

gehörten die Waffen des Humors immer au den schärfsten Instrumenten politischer und intellektueller Aus-einandersetaung, weshalb jene, die sie mit besonderer Virtuosität zu handhaben wußten, oft den sehr wenig witzigen, aber um so wirkungsvolleren Angriffen der von ihnen attackierten Mächtigen ausgesetzt waren.

Wahrscheinlich haben die Menschen, seit sie überhaupt lachen können, auch den Humor als Waffe eingesetzt, aber eine Weltgeschichte des Humors wäre dazu verurteilt, ein hauptsächlich aus Lücken bestehendes Werk zu werden. Denn das Lachen ist eine menschliche Tätigkeit, die keinerlei direkte Spuren hinterläßt. Aber die massiven Vorurteile gegenüber allen Äußerungen „unangemessener Heiterkeit“, die immer wieder in der Geschichte auftraten, wurzeln vielleicht, ja wahrscheinlich, auch in den trüben Erfahrungen der Herrscher mit den schärferen Formen des Humors. Denn selbst als die Meinungsfreiheit schon erfunden war, stand die Freiheit, Witze zu machen, noch lange auf einem anderen Blatt.

Und in einer Zeit, in der sich mit Hagarth ein goldenes Zeitalter der Karikatur ankündigte, mußte der Humor mit moralischen Argumenten, beispielsweise mit der Forderung von Horaz, Kunst habe nützlich und angenehm zu sein, verteidigt werden. Die Maximen von Wahrscheinlichkeit und Schicklichkeit beispielsweise ließen erst 1838 die adäquate Illustration der La Fontaineschen Fabeln durch Grandville zu. Es gab Traktate gegen das Lachen, das insgesamt als Werkzeug der Erniedrigung des Menschen angeschwärzt wurde. Anderseits ist der Humor nirgends sonst so verpönt wie dort, wo Menschen durch Diktaturen erniedrigt werden. Diktatoren vereinen einerseits die ganze humorschöpfende Kraft der Unterdrückten auf sich, verstehen aber anderseits keinen Spaß. Je mehr Macht, desto gefährlicher ist es, Witze zu machen.

Dem mehr oder weniger gutmütigen, mehr oder weniger beißenden Witz der „humoristischen Zeichnung“ steht die Schärfe der Aggressivität der Karikatur als politisches Kampfmittel gegenüber. Daumiers Masken aus dem Jahr 1831, in denen das Gesicht des Bürgers spielerisch variiert wird, waren noch relativ harmlos und daher für ihren Schöpfer ungefährlich. Die berühmte „Gargantua“-

Zeichnung hingegen wurde von Louis-Philippe als das betrachtet, was sie war, nämlich als eine gegen seine Person gerichtete Attacke Daumiers, und brachte ihren Schöpfer in Ungelegenheiten. Wie das heutige sowjetische Regime, so scheute auch der „Bürgerkönig“ den Eklat eines Prozesses, ließ Daumier für „wahnsinnig“ erklären und von September 1832 bis Juli 1833 in einer Nervenheilanstalt festhalten.

Einige Jahre später hatte er es überhaupt satt, seinen birnenförmigen Kopf dem Zeichenstift der Respektlosen ausgeliefert zu sehen. Am 9. September 1835 wurde die Bildzensur eingeführt — die Zeitungen durften schreiben, aber nicht zeichnen, was sie wollten. Der ausgerechnet auf den Namen Persil hörende

Zensor verfaßte die Reinwascbungs-schnift für diese Einschränkung der Pressefreiheit und führte aus, ein Bild sei keine Meinungsäußerung, sondern in Aktion umgesetzte Meinung.

Womit er, ohne es zu wissen, vielleicht eine der besten Umschreibungen nicht gerade des Humors, auch nicht des Witzes, aber sicher der politischen Karikatur geschaffen hat. Wir wissen nicht, was Lachen ist. Wir wissen nicht, warum wir lachen. Aber ein Lächeln ist unser frühestes zwischenmenschliches Kommunikationsmittel (oder unser zweitfrühe-stes, nach dem Geschrei), und nur langsam unterscheidet es sich, so Melot, „von den unvermeidlichen Grimassen, mit deren Hilfe wir nach und nach lernen, daß unser Gesicht uns mit der Welt verbindet.“

Humor ist viel umfassender als Witz — auch er von den Verhältnissen abhängig, an einen Verständniscode gebunden, aber immer auch ein Mittel, durch die Zerstörung der Normen unserer Wahrnehmung unser Dasein auf dieser Welt in Frage zu stellen, wie Melot sagt. (Wenn es so ist, hätte freilich ein Bild von Rene Magritte in den Abbildungsapparat gehört.) Mit einer Darstellung von in einem Brettspiel begriffenen Tieren auf einem Papyrus des Alten Reiches und einer Wandkritzelei in Pompeji soll es begonnen haben. Wohin die Reise geht, worüber wir noch lachen werden, kann niemand sagen. Wenn alle formalen Möglichkeiten so intensiv und umfassend durchprobiert werden wie heute, scheinen kaum Möglichkeiten für neue Entwicklungen offen zu bleiben. Aber vielleicht hat man das auch früher schon einmal gedacht.

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