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Jenseits der Grenze, im unsichtbaren Land

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Am 30. September wird einer der bedeutendsten deutschen religiösen Dichter 75 Jahre alt: Edzard Schaper. geboren im Ostrowo (heute Oströw Wielko- polski). Er studierte erst Musik, war dann Schauspieler und Matrose und von 1930 bis 1940 freier Schriftsteller in Estland. 1940 floh er nach Finnland, 1944 nach Schweden. Seit 1947 lebt er in der Schweiz.

So hat er vor mehr als dreißig Jahren seine äußere Heimat in der helvetischen Staatsbürgerschaft gefunden: seine innere fand der Lutheraner, der orthodoxe Ge-

stalten und Geistigkeit voll mystischer Glut und Tiefe so einfühlsam-meisterhaft dargestellt hat, in der katholischen Kirche.

Aber sein Wesen und Werk gründet sosehr im Zentralen des christlichen Mysteriums, daß selbst Begriffe wie überkonfes sionell oder ökumenisch als zu vordergründig erscheinen. Die Speichen vieler Leben und Bekenntnisse einen sich in der Nabe, die Quelle, Mitte und Ziel ist.

Schapers Welt ist bei aller Buntheit und Realistik seiner „Geschichten aus vielen Leben“ — so lautet der Titel seiner gesammelten Erzählungen — bei aller Bewegtheit und psychologischer Tiefe ganz und gar subtil und durchgeistigt: wie nicht mehr von dieser Welt. Wie er zeitlebens Grenzen überschritt und wie seine literarischen Werke und Helden, meist im nordosteuropäischen Raum angesiedelt, viele Grenzen überschreiten, so führt er „hintėr alle Linien“, wo der „Stern über der Grenze steht“ und schon der „große, offenbare Tag“ einbricht.

„Seit Christus geht die Grenze mit, und so weiß niemand im Grunde, wann und wo das ewige Leben beginnt… Nun wandert das Göttliche in jeder menschlichen Existenz mit“, schreibt Schaper. Er ist essentiell Christ: er ist „in Christus“.

In diesem einzigen und wahren Licht, von dem selbst die tiefen tragischen Schatten von Schicksal und Geschichte noch Zeugnis geben, sind seine gleichnis- und legendenhaften Darstellungen zu sehen: der Mensch in Grenzsituationen; die Bewahrung und Be-

Währung des im Glauben gebundenen Gewissens unter Terror und Gewalt; die Erfahrung von Schuld und Gnade; das Ringen um Freiheit in einer versklavten Welt; der Kampf der Kirche gegen atheistische Mächte.

So lebt Hoffnung in der „sterbenden Kirche“ und am „Abend der Zeit“. Der Gefangene wird wahrhaft frei, die Ohnmacht siegt über alle Macht, Unschuld leuchtet über der Sünde, und der „Mantel der Barmherzigkeit“ bedeckt alle Blöße und Schuld. Und die „Liebe weicht auch in der tiefsten Erniedrigung nicht, damit sie dem Bösen bei seiner Erlösung beistehen kann“. Das ist die Kernbot-

Schaft an Adam(eit) in der Erzählung „Die Geisterbahn“: „Es kommt auf die Achse an, auch wenn man sie nicht sieht. Um sie dreht sich alles!“

Uber fünfzig Werke hat uns Schaper geschenkt. Sie werden viele Bestseller-Eintagsfliegen überdauern. Gestalten wie Vater Seraphim, den roten Piritim und den gekreuzigten Diakon vergißt man nicht. Und schon gar nicht den Vierten König, dieses wundersame Kind russischer Glaubensglut und christlicher Quintessenz. Wer Schapers Bücher liest, kann sie nicht vergessen; er muß sie immer wieder lesen und unweigerlich lieben. Denn Schapers gottgeschenkte Kunst „reißt mit, tröstet und hilft“, wie der Papst in Wien mit Rilkes Worten den Auftrag der Kunst definierte. Solche Kunst „leuchtet aus die epochale Situation zum Erfassen der Höhen und Tiefen des Daseins, gereift in Einsamkeit und Leiden“.

Es gilt, Edzard Schaper, dem Boten vieler Leben und großen christlichen Zeugen, herzlich zu gratulieren und zu danken.

Der Autor ist Mitglied des Franziskanerordens und betreut die Ordenszeitschrift

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