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Leben und Werke

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Edzard Schaper, geboren am 30. September 1908 in Ostrowo, in der damals preußischen Provinz Posen, im heutigen Polen. Einmal deutscher Staatsbürger, einmal estnischer Staatsbürger, einmal finnischer Bürger. Heute Ehrenbürger zweier schweizerischer Gemeinden im Kanton Wallis und auch dem Paß nach Schweizer Bürger. Die meisten Urkunden hat er in Stunden der Lebensgefahr verbrannt, wie einst ein Perserkönig seine Schiffe für den Schicksalskampf, um ein „Niemand“ oder ein „Jedermann“ zu sein. Immer aber war er ein Dichter deutscher Sprache.

Die Ahnen väterlicherseits kamen aus dem alten Kalenberger Lande in der Provinz Hannover, wo seit Jahrhunderten die „Schaper-Meule“ steht. Mütterlicherseits stammt er aus Ostfriesland, aus einem Dort „linkerhand auf dem Wege zwischen Aurich und Emden“, wie er sagt — ein aus der Liebe zum „Land der Mütter“ ostfriesischer Patriot. Alles das in einem größeren Deutschland, in einem Europa, das die jetzt Heranwachsenden nur aus dem Geschichtsunterricht kennen: und dabei ist Hchaper erst sechzig Jahre alt. So hat die Welt sich in zwei Generationen verändert, die geographische, politische, geistige Welt. Aber hat sie sich wirklich dermaßen verändert? Ein Menschenleben wie das Edzard Schapers bewahrt bei allem Wechsel der Staatsbürgerschaften, der Pässe, der gewählten und der erzwungenen Berufe irgend etwas Unveränderliches: sein Selbst. Und wie ihm dies — stellvertretend für viele — gelingt, macht im Eigentlichen seine Leistung aus. Das äußere Schicksal ist in diesen Zeiten in Inflation geraten. Die Stetigkeit des inneren Standorts allein zählt bei aller äußerlichen Um{fetriebenheit. 1920 — als Knabe — kam er nach Glogau, die alte friderizianische Festung an der Oder, damals noch wallumwehrt. Und wenige Jahre später von Glogau nach Hannover, wo er bis zum sechzehnten Lebensjahre recht und schlecht eine höhere Schule besuchte (er selber sagt: „Mehr schlecht“). Er trieb nebenher Musikstudien am Konservatorium und als Hörer von Professor Th. W. Werner. Dann brach er in die Selbständigkeit aus, war Regieassistent und Aushilfsschauspieler im westfälischen Herford und Minden... und schrieb als noch nicht Zwanzigjähriger, nach einem kurzen Gastspiel als „Regieassistent der Oper“ beim Württembergischen Landestheater, zwei Romane: „Der letzte Gast“ und „Die Bekenntnisse des Försters Patrik Doyle“. Von 1927 bis 1929 lebte er auf einer kleinen dänischen Ostseeinsel, einsiedlerisch damit beschäftigt, eine neue große Händel-Biographie zu schreiben. Doch das gab er, betroffen von der Größe seines Unternehmens, auf. Danach fuhr er zwischen Heimwehbesuchen in das Land seiner Kindheit, das nun polnisch war, auf Fischdampfern zur See: unter Island, in der Barentsee, an der Westküste von Kap Kanin.

Seit 1930 lebte Edzard Schaper in Estland, wo die Schapers schon früher nicht ganz unbekannt waren, denn 1526 tauchten sie in den „Denkelbüchern“ der Schwarzen-häupter-Bruderschaift auf.

1935 — mitten im deutschen „Kirchehkampf“ — erschien sein Roman „Die sterbende Kirche“, ein Lebenszeichen der Kirche, erweckt aus der inneren Begegnung mit der Orthodoxie des Ostens. „Ja, dem Taufschein nach als Lutheraner geboren, wurde ich erst in der Begegnung mit der Orthodoxie, der Ostkirche, zum Christen. Die Orthodoxie, das war und ist das personale Ereignis meines Lebens: die Katholizität des Ostens. Sie erklärt auch so vieles von meiner Konversion in späteren Jahren zur Katholizität des Westens, in den mich das Schicksal verschlagen hat. Und die immer wiederkehrende Anrufung der östlichen Liturgie .Herr, erbarme Dich!' die Sie in jeder orthodoxen Kirche einmal übers andere hören können, wurde für mich das vorbildlich Gleiche wie Martin Luthers in aller Menschlichkeit und Allzumenschlichkeit doch heldenhaftes Ringen um .einen gnädigen Gott'.“

Schaper lehnte die berüchtigte Umsiedlung der Balten und der Volksdeutschen in die eben eroberten Gebiete Polens für sich ab. Er blieb in Estland. Er war an der Arbeit. Damals entstand sein großer Roman „Der Henker“. Für die Welt war er der letzte United-Press-Korrespondent in den Baltischen Staaten, für die Russen natürlich ein Spion, bis er vor der NKWD nach Finnland fliehen mußte. Und auch da wurde er ein so gut wie „toter Mann“, denn der erste Strafsenat des Volksgerichtshofes unter Freisler verurteilte ihn in contumaciam zum Tode.

In einem Staatsbürgerbrief, den Finnlands Marschall Mannerheim unterzeichnet hatte, erlebte er seine Auferstehung zum Leben als finnischer Bürger. Aber Finnlands Waffenstillstand zwang ihn — gleich unzähligen Flüchtitogen aus Estland: um nicht nach Osten ausgeliefert zu werden — nach Westen, nach Schweden. Es folgten Jahre als Waldarbeiter und als „Lumpensammler“ für das nackte Elend Nachkriegsdeutschlands im Dienst des unvergeßlichen schwedischen Deutschlandfreundes Birger Forell.

1947 kam für den oft Totgesagten endlich die Heimkehr ins deutsche Sprachgebiet: in die Schweiz, nach Zürich, in das Asyl von so vielen Verfolgten vor ihm. Arbeit am Schreibtisch, im Rundfunk, im Vortragssaal. Die Titel der wichtigsten Bücher seitdem: 1948 „Der letzte Advent“, 1949 „Die Freiheit des Gefangenen“, 1950 „Die Macht der Ohnmächtigen“, 1954 „Der Gouverneur“, 1956 „Die letzte Welt“, 1957 „Attentat auf den Mächtigen“, 1958 „Das Tier“, 1961 „Der vierte König“, 1963 „Aufruhr des Gerechten“. Dazu Erzählungen, Essays, Hörspiele, Farnsehspiiele. Es liegen mehr als vierzig Bücher von ihm vor.

Schaper erhielt den Kunstpreis der Stadt Berlin, den Fontane-Preis (1953), den „Ostdeutschen Schrifttumspreis“ (1958), den Internationalen Charles-Veillon-Preis (1962), die Goldene Medaille der Humboldt-Gesellschaft (1967), den Gottfried-Keller-Preis (1967). Schaper ist Ehrendoktor der Universität Freiburg in der Schweiz,

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