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Am Abend der Zeit

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Nicht der Abend aller Zelten war damit gemeint, nach welchem es keine Nächte mehr gäbe, sondern nur noch die ewige Nacht, den Tag ein für allemal beendend. „Am Abend der Zeit“ (1970 erschienen) kommen, im heißen Sommer 1914, ein junger Balte und eine polnische Komtesse ums Leben, die es in ihrem Leben nicht leicht hatten, auch miteinander nicht und jeder mit sich selber nicht. Im nicht mehr recht zeitgemäßen Kampf um eine höchstpersönliche Liebe verloren sie beide das Leben, noch dazu bloß versehentlich, aber doch, weil der Haß damals in nie dagewesener Weise aufzulodern begann. Nicht die Zeit überhaupt also neigt sich ihrem Ende zu, aber eine Zeit eben, in der auch dem weniger oder ganz Unzeitgemäßen noch gnädig Zeit gegeben wurde. Dulden und Geduld zugunsten des Ungewöhnlichen, vielleicht Einzelgängerischen wichen dominierender Unduldsamkeit, die jeden verfolgt, der nicht zu folgen versteht.

Dieses reife Romanwerk des damals 62jährigen Edzard Schaper ist eine absolut epische Leistung, ununterbrochen erzählend, ohne essayistische Einschübe und ohne kommentierendes Autorenurteil: Bericht einer schicksalhaften Verkettung von Figuren und Ereignissen. Freilich erzählt Edzard Schaper immer so, daß es zu denken gibt. Er kaut einem die Gedanken nicht derart vor, daß man sie nur noch zu schlucken hätte. Die Gedanken kommen dem Leser scheinbar von selber, und doch ist es immer eine echte N ac hdenklichkeit, was diese Lektüre beschert, wohl v o rbe-dacht von einem Romancier, der souverän und solid bei seiner Handlung bleibt und trotzdem Gesten und Reden so darzustellen vermag, daß seine Geschichte geschichtlich wirkt, nicht nur merkwürdig historisch, viel mehr noch kulturhistorisch erheblich durch das anekdotische Beispiel, und in jeder Szene genau von jener tieferen Bedeutung, die nie expressis verbis beansprucht oder gar ausgesprochen wird. Edzard Schaper interessiert den Leser zunächst mit einem packenden Geschehen und fesselt ihn mit so legitimer Spannung, daß die Neugier sich unwillkürlich und nahezu unbewußt vergeistigt. Auch der allenfalls kriminelle Ausgang wird zwingend zum sittlichen Problem, die Auflösung der Verwicklungen zu einer Lösung schlechthin, die auch als gültiges Ergebnis überzeugt.

Was immer er erfindet und fesselnd berichtet: es spricht ein sehr erfahrener Mann zu uns, viel herumgekommen, der manches durchgemacht hat, ehe es ihm durchzukommen gelang. 1908 in Ostrowo (Posen) geboren, ließ er sich nach frühen Reisen 1930 in Estland nieder, floh 1940 vor den Sowjets nach Finnland und 1944 (wegen eines Auslieferungsbegehrens) weiter und lebt seit 1947 in der Schweiz. In Rußland nämlich ist er in Abwesenheit zum Tode verurteilt und mußte seinen Unterhalt, wiewohl er mit 19 Jahren schon seinen ersten Roman („Der letzte Gast“) veröffentlicht hatte, je nach Station seines Flüchtlingslebens als Musiker, Regieassistent, Schauspieler, Gärtner, Matrose, Waldarbeiter, Sekretär und Journalist fristen, bis er es endgültig zum freien Schriftsteller brachte. Er emigrierte nicht nur von Land zu Land, er konvertierte auch nach dem Kriege zum Katholizismus, und das merkt man dem Schriftsteller deutlich an: Der religiöse Gedanke machte ihm nicht nur zeitlebens zu schaffen, er machte ihn auch schöpferisch. Die Figuren im Werk von Edzard Schaper nehmen die dialektische Spannung zwischen Diesseits und Jenseits im Bewußtsein des Menschen wichtig, es sind durchweg Gewissenskonflikte, was sie überstehen oder woran sie zugrunde gehen. Daher gilt seine epische Riesenleistung (auch was die Quantität betrifft: einige Dutzend Titel) als konservativ und der Tradition verpflichtet, eine eher vordergründige Einstufung, die, abgesehen von der unbedingt korrekten Diktion dieses Prosaisten, von dem Umstand herrühren mag, daß er stets Verpflichtung, Verpflichtetsein und Verpflichtetbleiben als jenen Fixpunkt ansieht, um den sich alles dreht, was er für betrachtenswert und für be-schreibenswert hält.

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