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Zwischen Schuld und Gnade

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Schaper, der 1908 in Ostrowo (in der früheren Provinz Posen) geboren wurde und der von 1930 bis 1940 in Estland lebte, beschäftigt immer wieder die östliche Welt. Den hier vorliegenden Roman „Sie mähten gewappnet die Saaten“, der in früheren Auflagen unter dem Titel „Der Henker“ erschienen ist, könnte man geradezu das Epos des Baltikums nennen und seiner Menschen zwischen West und Ost, die „nur das Denken und Fühlen, das Unbewußte allein, daran mahnte, daß sie eigentlich Deutsche waren. U“d die doch das Erbe ihrer Väter so gut und so streng wie möglich verwalteten und weitertrugen, dort, wo die ersten ihren Fuß hingestellt, wo ihr Dasein noch immer die gleiche Einsamkeit, die gleiche Hoheit, die gleiche Fragwürdigkeit hatte, die jeder Mission von Völkern an anderen Völkern innewohnt, und die noch immer das Bewußtsein ihrer Sendung hatten.“

Diese Sendung verfolgt Schaper hier in der Geschichte des Grafen Ovelacker, der als Rittmeister in russischen Diensten 1905 eine Strafexpedition in den aufständischen baltischen Provinzen zu leiten hat und später als Erbe eines alten deutschen Besitzes in das Land zurückkehrt — von seinen baltischen Nachbarn als undurchsichtig und nicht völlig vertrauenswürdig gemieden, von den Esten als „Henker“ gehaßt. In diesem Schicksal wird die vielfältige Verflochtenheit und Gefährdung des baltischen Menschen offenbar, aber auch seine Leidenskraft.

Noch ein anderes Thema, das später zu einem Leitmotiv von Schapers Werk werden soll, klingt hier schon an: der Konflikt zwischen Freiheit und Gewalt, zwischen der Macht und jener Ohnmacht der Dulder und Leidenden, die letztlich stärker ist als die brutale Gewalt. Hier scheint dieses Thema auf in der Begegnung Ovelackers mit dem alten estnischen Bauern Koiri. dessen drei Söhne er einst als russischer Offizier verurteilt hatte und der nun zur treibenden Kraft seiner Verfemung im Lande wird. Aber auch Ovelacker läßt dieser Widersacher nicht los, dieses unausweichliche Gegenüber, dieser Gläubiger seiner Schuld, die er unbewußt auf sich geladen hat. Immer häufiger überfällt den Grafen der Gedanke, daß es an ihm sei, den Weg der Versöhnung und der Selbstverleugnung zu gehen, sich diesem alten Bauern zu stellen, um „aus der Hölle des Hasses auf ein neues Ufer zu gelangen“. Als er es schließlich tut, findet er den alten Koiri auf dem Totenbett und wird von ihm staunend als sein Herr begrüßt. Seinen Widersacher, den Henker seiner Söhne, spricht der alte Mann damit los von seiner Schuld. Da erkennt auch Ovelacker klar Sinn und Gesetz des Geschehenen:

„Er sieht die Schuld, in die sein leben gestürzt ward, als er der Pflicht sein Antlitz leihen mußte... Nun bekam es auch einen neuen Sinn für ihn, daß hier in diesem Land Schwert und Krem bis auf diesen Tag vereint geblieben waren. Jetzt, dachte er, jetzt mußte auch er nach langen Jahren, da er in fremden Diensten den Degen geführt hatte, das Kreuz für dieses Land auf sich nehmen, um seines eigenen Lebens willen und, wenn er darunter stürbe, damit die Seinen hier leben könnten, die Deutschen alle, das ganze Land.“

Der Roman „Die letzte Welt“ stellt christliche Grundprobleme unserer Zeit in den Mittelpunkt. Zwei Typen des Christen werden miteinander konfrontiert. Den fanatischen Gottesstreiter verkörpert der Bischof Athanasius, der nach der bolschewistischen Revolution in den baltischen Staaten eine „freie orthodoxe Eparchie“ aufbaut. Ein harter, streitbarer Mann ist dieser Bischof, ein unversöhnlicher Feind nicht nur der Sowjets, sondern auch der vom Staat anerkannten nationalen orthodoxen Kirchen und der anderer christlicher Glaubensgemeinschaften. Der Protodiakon Bellegarde dagegen sieht die Rettung des Christen in unserer Zeit im reinigenden Selbstopfer. „Darin allein liegt Hoffnung . .. Es ist eine Zeit und eine Welt gekommen, in der man nur noch sich selbst geben kann. Eine neue Aszese . .. Vielleicht ist uns aufgegeben, alle alten Ideale noch zu übersteigern.“

Nicht diese Worte vermögen den Bischof Athanasius zu überzeugen. Erst als seine so fest gefügte streitbare Welt rnjit einem Schlag zusammenstürzt in der bisher gewaltsam unterdrückten Erinnerung an eine grausame Episode der Erniedrigung und seines Versagens, gewinnen sie für ihn Wirklichkeit, werden zum einzigen rettenden Ausweg. Und so entschließt er sich, Vater Isidor, einen bescheidenen Mönch, der sich nicht würdig glaubt und gerade darum der Rechte ist, zu seinem Nachfolger zu weihen Und da nun wird Athanasius offenbar, „daß der einzige Tag des Lebens, der Genüge leistete, nur der war, an dem er alles weggegeben hatte ...“

Ein anderer Verdacht wird dem Bischof an diesem schweren Tag zur Gewißheit: ein Verräter lebt in seinem Haus, der seit Jahren alle seine Worte und Taten an die Bolschewisten weitergegeben hat.

„Die Untreue! Die Untreue! dachte er. ER trug sie ihm nach über Jahre und Jahrzehnte und strafte ihn noch an diesem Tage in seinem Nächsten, unheilbar und nie zu vergessen, wie ER selber wohl auch nie vergaß ... So, fühlte er, fiel er wieder unrettbar in den Krater der Schuld zurück. Und alles war vergebens gewesen, vergebens, vergebens, wo er schon gemeint hatte, er habe etwas gerettet.“

Dann geschieht es — ob durch Zufall, Absicht oder Gnade, wurde nie aufgeklärt —, daß ein Feuer in des Bischofs armseligem Hause ausbricht, das auch ihn verzehrt und allen Irrtum, alles Dunkle seiner Vergangenheit auslöscht. „Herr, dachte er mit schwindenden Sinnen, darf ich jetzt selbst für Dich brennen? Habe Dank! Nimm meine Schande um Dich, die der größte Teil von mir war, mehr habe ich nicht, mein Erbarmer! Laß sie verbrennen ...“

Schaper nimmt die hier aufgeworfenen Fragen mit der ihm eigenen Unerbittlichkeit auf, die auch seine Leser zum Farbebekennen, zur unbedingten Stellungnahme zwingt. Die ganze Gefährdung unserer Welt wird offenbar, die Verstrickungen auch des Christen in ihre Abgründe, aus denen nur noch das Selbstopfer zu führen vermag. „Es ist eine Zeit, eine Welt gekommen, in der man nur noch sich selbst geben kann.“

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