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Kein beschauliches Leben am Bauernhof

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Viele Städter träumen von der heilen Welt am Land. Das Bauernleben gilt immer noch als geruhsam. Doch all das hat sich schon seit einiger Zeit zum Schlechteren gewandelt.

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Viele Städter träumen von der heilen Welt am Land. Das Bauernleben gilt immer noch als geruhsam. Doch all das hat sich schon seit einiger Zeit zum Schlechteren gewandelt.

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„Streß“ gilt als typisches Krankheitssymptom unseres Zeitalters. An sich zu Unrecht: Denn wie die gesamte Natur ist auch unser menschliches psycho-physisches System auf gelegentlichen Streß hin angelegt. Es wird beim gesunden Menschen nicht nur gut damit fertig, sondern benötigt den Streß sogar als belebende Mobilisierung der leib-see-lischen Kräfte.

Nur als unphysiologischer (naturwidriger) Dauerzustand ist Streß zu der typischen Krankheit unserer Zeit geworden. Bemerkenswert dabei ist, daß echte, objektiv feststellbare Uberbelastung zwar sicherlich eine, aber keineswegs die einzige, ja wohl nicht einmal die häufigste Streßursache darstellt. Seelische Fehlhaltungen sind mindestens ebenso oft für abnorme Streßzustände verantwortlich wie echte äußere Belastungen.

Abnormer Streß und damit streßbedingte Leidenszustände gibt es auch im bäuerlichen Leben: Das in sich ruhende, „zeitlose“ Landleben, das spannungsarme Gleichmaß der bäuerlichen Arbeit gehören der Vergangenheit an. Heute lassen sich nahezu sämtliche Ursachenbereiche von Streßleiden, die objektiven wie die subjektiven, die situationsbedingten wie die einstellungsbedingten, auch im Bauernleben feststellen.

Im Grunde führen im bäuerlichen Leben wie auch sonst drei Hauptfaktoren zu krankmachendem Dauerstreß: die Überlastung, die Sorge bzw. Angst und die Frustration (Enttäuschung). Spezieller auf das Bauernleben bezogen könnte man von Streß durch Nichtnachkommen (Nicht-fertigwerden), Nichtauskommen und Nichtmitkommen sprechen.

Der Streß durch das Nichtnachkommen ist trotz Mechanisierung leider auf unseren Bauernhöfen immer noch weit verbreitet. Dieses Gefühl des Nichtfertigwer-dens, der auch in der arbeitsfreien Zeit anhaltende seelische Druck der ungetanen Arbeit, kann zusätzlich zur körperlichen Belastung zu einer schweren, die Lebensfreude erstickenden Bürde werden. Der aus Einkommensgründen gewählte Ubergang zum Nebenerwerb kann diesen Streßfaktor schlagartig verschärfen, sodaß das Zusatzeinkommen gesundheitlich und in der Sicht des seelischen Wohlbefindens teuer, oft vielleicht zu teuer erkauft wird.

Der Uberlastungsstreß dürfte ganz allgemein die Frauen noch stärker treffen als die Männer. Sie unterliegen heute typischerweise einer Doppelbelastung durch Berufsarbeit und Familienbetreuung, wie sie der Mann normalerweise nicht kennt (bzw. nicht akzeptiert). Das führt nicht allein zu höheren Gesamtarbeitszeiten der Frauen (sie liegen bei Bäuerinnen gegendweise und jahreszeitlich verschieden täglich um bis zu drei Stunden über der der Männer), sondern mitunter außerdem zu einem ständigen „schlechten Gewissen“.

Auch hier kann der Nebenerwerb des Gatten die Situation verschärfen, zumal nun zur (erhöhten) Arbeitslast auch noch die faktische Alleinverantwortung für den Betrieb mit seinen komplizierten Maschinen usw. hinzutritt. Befunde aus der Steiermark und aus der Schweiz legen nahe, daß viele Nebenerwerbsbäuerinnen auf diese psychische Zusatzbelastung mit Depressionen reagieren.

Depression bei Frauen

Diese Beobachtung leitet über zum Streß durch Sorge bzw. Angst... In der Bauernfamilie hat dieser Streß hauptsächlich ein wirtschaftlich-finanzielles Gesicht. Er bezieht sich auf das erwähnte Nichtauskommen, das zur Sorge um die Zukunft, zur Angst vor Verschuldung, Verlust des Hofes, Verlust der familiären Existenzgrundlage führt. Viele Bauernfamilien müssen heute erleben, daß es trotz großem Fleiß und persönlicher Einschränkung „vorn und hinten“ nicht mehr reicht, die Kosten den Preisen davonlaufen und man mit den Zahlungen nicht mehr nachkommt.

Selbstverständlich stehen Sorge und Angst als Streßfaktoren nicht nur mit der finanziellen Lage und der Zukunft des Betriebes in unmittelbarem Zusammenhang, sondern auch mit anderen kritischen Lebenssituationen: Die Angst vor Erkrankung bzw. vor den Folgen von Krankheit und Unfall ist eine seelische Belastungsquelle ersten Ranges, zumal wenn man sich völlig von der eigenen Arbeitskraft abhängig fühlt.

Schließlich leidet der heutige

Mensch häufig unter einem anspruchsbedingten Streß. Auch er befällt inzwischen längst nicht nur Karrieristen, sondern belastet auch einfache Menschen und hat im Bauernhaus Einzug gehalten. Gemeint ist die Enttäuschung darüber, daß das (materiell oder prestigemäßig) Erreichte trotz — wie man wenigstens meint — großen persönlichen Einsatzes hinter den Erwartungen zurückbleibt.

Die Steigerung der persönlich-familiären Ansprüche, der jeweils als „angemessen“ betrachtete Lebensstandard, sind in der Bauernfamilie zunehmend fremdinduziert, folgen also im wesentlichen übernommenen Konsumleitbildern. Dies gilt zunehmend auch für den Freizeitanspruch.

Moderne Landwirtschaft steht im Spannungsfeld von Natur und Künstlichkeit, von Ökonomie, Technik und Ökologie. Die hohe Leistungsfähigkeit heutiger Agrarsysteme bezahlt als Preis eine zunehmende Entfernung von den ökologischen Gesetzmäßigkeiten. Gerade den „fortschrittlichen“ Landwirt, der zwecks Produktionsrationalisierung und Einkommenserhöhung seine Eingriffe in den Naturhaushalt auf die Spitze treibt, beschleicht wenigstens unterschwellig das beklemmende Gefühl, gegen die Natur zu arbeiten und sich einem dementsprechend erhöhten Risiko auszusetzen, ja sogar die biologische Nachhaltigkeit seines Betriebes zu gefährden.

Ökologischer Streß

Treten dann die „groben“ Warnzeichen hervor, wie gehäufte Unfruchtbarkeit im Stall, großflächige Erosionen (etwa bei einseitigem Maisbau), wachsende Schwierigkeiten bei der Bodenbestellung, hartnäckige Unkraut-und Schädlingsprobleme und — in der Endphase — sogar sinkende Erträge trotz steigenden Einsatzes von Agrarchemie (dieses Verfallsstadium wird inzwischen aus der DDR gemeldet), dann bricht der ökologische Streß auch beim Bauern voll hervor.

Das Unbehagen wird zur Angst, zumal ja nunmehr auch der ökonomische Erfolg auf dem Spiel steht. Das weit über die eigentlichen „Öko-Bauern“ hinausgehende Interesse praktischer Landwirte an alternativen Bewirtschaftungsformen hat sicherlich auch eine psychologische Wurzel. Es entspringt dem Bedürfnis, den eigenen Hof wieder aus der unguten, belastenden Situation eines „ökologischen Kriegsschauplatzes“ herauszuführen.

Der Autor ist Referent für ländliche Soziologie an der Bundesanstalt für Agrarwirt-schaft in Wien. Sein Beitrag ist ein Auszug aus „Der land- und forstwirtschaftliche Betrieb“ 9/85.

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