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Kinetische Spiele

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Den weitaus schwächsten Abend seit Bestehen hatte die Experimentierbühne der Bayerischen Staatsoper im Afarstall-TJieater mit der Uraufführung von vier szenisch-kinetischen Stücken. Während man in den Arbeiten: „Die Puppe“, „Laser“ oder „Sensus“ durchaus Entwicklungsphasen entdecken konnte, die als zukunftsträchtig zu bezeichnen waren, geht von den Stücken: „Stimm-Puls“, „Programm“, „Spielmechanik“ und „Dunkel“ nicht die geringste Anregung aus, eine Tatsache, die sich auch in der lauen Publikumsreaktion widerspiegelte.

Zu dem von ihm komponierten und inszenierten Stück „Dunkel“ äußerte sich Watter Haupt: „Es geht mir dabei um eine Sensibilisierung der Gehörnerven. Es handelt sich um eine homogene Fortsetzung von „Laser“ und „Sensus“. Im Mittelpunkt steht das Raumerlebnis. Der Zuhörer sucht nach Schaillrichtungen und nach dem Schallort, wird in diesem Suchen jedoch durch kleine Lichteffekte irritiert.“ Das Ergebnis sieht anders aus: Uber die Köpfe der Zuschauer werden — wie in einer billigen Geisterbahn — schwarze Stofffahnen hin- und hergezogen, etwas Duft wird eingesprüht, und einige rote Laserstrahlen ziehen harmlose Spielchen ab. Vorher klagte Walter Haupt coram publico darüber, daß die Produktion auf Grund der Sicherheitsbestimmungen nicht so ablaufen könne, wie er sich das vorgestellt habe. Die Konsequenz wäre gewesen, daß er das Stück aus dem Verkehr gezogen hätte!

Zu „Spielmechanik“ sagte Walter Haupt: „Auch hier bleibt der musikalische Vorgang trotz des mechanischen Ablaufs dominierend. Der Flügel schafft sich durch viele Mechanismen seine eigene Klangwelt, die aber restlos durchkomponiert ist.“ Zweifellos ist der präparierte Flügel in ,,Spielmechanik“ lustig anzusehen, bleibt aber eben eine Bastelarbeit, und der Bastler scheint über mehr Freizeit zu verfügen, als ihm gut tut. Sein Name ist Villerreal. Ein weiteres Stück ist „Programm“, zu dem Walter Haupt meint: „Hier werden choreographische, filmische und musikalische Impulse in einem Computer gespeichert, und dieser spuckt dann Varianten der Realisierbarkeit aus. Ein Tänzer nimmt diese Varianten auf und setzt sie in Bewegung um.“ Aber dieses „Programm“ entpuppt sich, von Gerhard Bohner choreographiert, als eine ganz altmodische Parforce-Tour für einen Solotänzer (Istvän Herczog). Bezüge zwischen tänzerischen und visuellen Elementen finden kaum statt, auch wäre es ja nur dann von Interesse, wenn es dem Tänzer überlassen bliebe, zu den Computer-Impulsen eine völlig freie, tänzerische Artikulation zu finden. —

Bleibt „Stimm-Puls“, über den Walter Haupt berichtet: „Mittels Sonden- und Kontaktmikrophon wird der auditive Innenbereich eines kleinen Buben abgetastet. Sechs bis sieben Mikros werden ihm auf die nackte Haut justiert und dadurch Puls- und Herzschlag live übertragen. Zu diesen Schlägen wird der Junge singen. Für mich war es wichtig, mit einem Kind zu arbeiten und die Musik auf das Kind abzustellen.“

Die Tatsache sah anders aus: Zum Ostinato seiner Herztöne summt, singt, girrt, gurrt und pfeift der zehnjährige Pius Höruncfc. Schne-bels „Atemzüge“ und viele Anregungen von Stockhausens Gnaden haben hier ihren Niederschlag gefunden. Die größte Enttäuschung war dabei aber, daß man nicht den tatsächlichen, augenblicklichen Herzschlag zu hören bekam, sondern nur eine Uberspielung der Herzschallaufnah-men der kinderkardiologischen Abteilung des Deutschen Herzzentrums München. Und noch eines: Die Pausen-Information vor einem Fernsehapparat war noch kläglicher als die Experimente selbst, und ein gewisser Herr Jürgen Maehder war weder in der Lage, aufschlußreich zu kommentieren, nooh Fragen zu beantworten.

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