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Kirchenrecht und Geburtenkontrolle

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Hat die Gleichsetzung von Empfängnisverhütung und Mord (FURCHE 46/1988) kirchliche Tradition? Soll das Kirchenrecht die Rückkehr zu vorkonzilia-ren Strukturen fördern?

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Hat die Gleichsetzung von Empfängnisverhütung und Mord (FURCHE 46/1988) kirchliche Tradition? Soll das Kirchenrecht die Rückkehr zu vorkonzilia-ren Strukturen fördern?

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Laut „Kathpress“ hat Msgr. Carlo Caffara in Rom auf dem Kongreß der Moraltheologen zu 20 Jahre „Humanae vitae“ gemeint, man könne sich für die These, Verhütung sei gleich Mord, auf das Kirchenrecht von 1917 und den heiligen Augustinus berufen. Im Codex Iuris Canonici von 1917 kann ich nun eine Stütze für diese Behauptung überhaupt nicht erkennen. Vor 1917 taucht diese Gleichsetzung phasenweise tatsächlich argumentativ auf, allerdings ohne daß dies für die kirchliche Rechtsordnung wirklich Bedeutung erlangt hätte. Es sei daher ein Blick auf die kirchenrechtliche Tradition, geworfen.

Ab dem vierten Jahrhundert lassen sich zwei Traditionsströme hinsichtlich der Bewertung von Empfängnisverhütung und Abtreibung ausmachen. Die eine Tradition beruft sich im wesentlichen auf die als „Aliquando“ bekannte Augustinusstelle, die dessen weitestgehende Verurteilung der Empfängnisverhütung enthält. Hier heißt es: „Manchmal geht diese wollüstige Grausamkeit oder grausame Wollust so weit, daß sie sich sogar Gifte für die Unfruchtbarkeit beschaffen ...“. Von Mord oder auch nur Tötung ist darin nicht die Rede.

Diese immer wieder zitierte — jedoch, wie andere Stellen zeigen, gar nicht so eindeutige und klare — Haltung des Augustinus zur Empfängnisverhütung ist geprägt durch seine Abwehr des

Manichäismus, dessen endzeitliche Erwartung durch das Geborenwerden weiterer Kinder beeinträchtigt wurde. Abgesehen von dem immer wieder notwendigen Hinweis auf das jeweils zugrunde liegende biologische Wissen: Die Argumente des Kirchenvaters auf eine Situation zu übertragen, in der ein ungebremstes Bevölkerungswachstum die Welt fundamental bedroht, ist äußerst kühn.

Wenn Augustinus schon - noch dazu mit diesem Text — bemüht wird, sollte man sich vielleicht einmal fragen, wo er denn heute stünde, angesichts der Gefahr des mutwilligen Herbeiführens einer existentiellen Gefahr für die Menschheit durch die Uberbevölkerung - wenn also ein Ende der Welt nicht durch eine Verweigerung der Bevölkerungsvermehrung, sondern eher im Gegenteil durch Bevölkerungsexplosion droht.

Nebenbei erwähnt: Den mani-chäischen Brauch, nur in sterilen Perioden zu verkehren, verurteilte Augustinus aufs heftigste — er wußte offenbar noch nicht, was „natürlich“ ist.

Die zweite Tradition bezeichnet erst die Tötung eines Fötus im fortgeschrittenen Stadium als ho-micidium. Hier spielt für die Abgrenzung die Frage der Formung beziehungsweise der Beseelung eine Rolle. Auch diese Auffassung findet sich unter anderem bei Augustinus.

Drakonische Strafen

Für die weitere Entwicklung ist charakteristisch, daß die sankti-onsbewehrten, auf die Lebenspraxis bezogenen Stellen sich fast ausschließlich auf die Tradition der Differenzierung beziehen. Dies zeigten die bekannt lebensnahen Bußbücher des ersten Jahrtausends ebenso wie das sich ab dem 12. Jahrhundert als selbständiger Bereich ausdifferenzierende Kirchenrecht. Gratian (1143) steht auf dem Boden dieser Lehre und zitierte „Aliquando“ — systematisch richtig — nur in Hinblick auf die Bewertung der Ehe.

1234 wurde zwar durch die De-kretalensammlung Gregors IX. die — unklarer Herkunft seiende — Dekretale „Si aliquis“ über das Verbot der Empfängnisverhütung in den Abschnitt über die Tötungsdelikte eingeordnet. Dem stand jedoch eine andere Dekretale („Sicut ex“ Innozenz' III.) gegenüber, wonach nur durch die Tötung eines mindestens 40 Tage alten Fötus die sich aus dem ho-micidium ergebende Irregularität für die Weihe gegeben sei.

Es folgen wie üblich scholastische Harmonisierungsversuche der beiden widersprechenden Stellen. Die kirchenrechtliche Weiterentwicklung — häufig basierend auf der Unterscheidung von Sünde und Delikt — wurde jedoch eindeutig durch „Sicut ex“ und nicht durch „Si aliquis“ bestimmt.

Im Laufe des Spätmittelalters wurde durch Lokalsynoden die Strafe der Exkommunikation für Abtreibung eingeführt. Zu einer klaren straf gesetzlichen Verurteilung kam es dann durch die Bulle „Effraenatum“ Sixtus V. im Jahr 1588. Dadurch wurde die Exkommunikation für Abtreibung allgemeines Kirchenrecht. Aber nicht nur das, es wurde auch die Unterscheidung von beseeltem und unbeseeltem Fötus aufgegeben, und sogar Empfängnisverhütung wurde einbezogen. Pestepidemien und Mißernten hatten in Rom zu einer schweren Krise geführt, Bevölkerungsabnahme und massive Zuwendung zu Prostitution als Einnahmequelle waren die Folge und veranlaßten den Papst zur Durchführung eines Maßnah-menkataloges, zu dem auch die Bekämpfung von Ehebruch, Prostitution und Kuppelei durch Androhung der Todesstrafe gehörte.

Diese drakonischen Strafbestimmungen waren jedoch nur kurze Zeit in Geltung. Bereits sein Nachfolger, Gregor XIV., hob sie 1591 für Empfängnisverhütung und Abtreibung eines unbeseelten Fötus — mit rückwirkender Geltung! — wieder auf. Diese Regelung blieb formal bis 1869 beziehungsweise bis zum Codex 1917 in Geltung.

Kehrseiten einer Medaille

In der Verurteilung der Empfängnisverhütung, wie sie seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts in den Mittelpunkt kirchlicher Lehräußerungen rückte, dominieren zwei Begründungen: die negative Bewertung sexueller Betätigung auch in der Ehe („die Ehe wird zu bloßer Lust mißbraucht“) und der Hinweis darauf, daß Hauptzweck der Ehe die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes, der Fortbestand von Kirche und Staat seien.

Das erste Argument hält einer auch in der Kirche heutzutage überwiegend positiven Sicht von Sexualität nicht stand. Das zwfcite Argument ist inzwischen wohl umzudrehen, in Abwandlung eines Wortes von Erich Fried: Wer will, daß unser Umgang mit der

Fortpflanzung des Menschengeschlechtes in dieser , Welt der 1 Uberbevölkerung so bleibt, wie er ist, der will nicht, daß diese Welt bleibt.

Daß Empfängnisverhütung und Abtreibung die Kehrseiten einer Medaille sind, ist unbestreitbar^ und banal. Aus historischen beziehungsweise ethnographischen Untersuchungen ist etwa das Phänomen bekannt, daß eine rigorose Dekulturierung im Zuge der Mission zur Eliminierung alter medizinischer kontrazeptiver Praktiken—wie übrigens auch zur Zurückdrängung der unter Umständen vorhandenen Praxis der Kindestötung — und tendenziell zur Verbreitung der Abtreibung führte. Vergleichende amerikanische Untersuchungen deuten darauf hin, daß unter Katholiken die Abtreibung weiter verbreitet ist als unter Juden und Protestanten. Das mag unter anderem mit dem schlechteren sozialen Status zusammenhängen, aber man wird vielleicht gerade in den USA die Einstellung der Katholiken zur Empfängnisverhütung nicht völlig außer acht lassen können.

Aus all dem ist vernünftigerweise nur ein Schluß zu ziehen, nämlich eine entsprechende Differenzierung zur Hintanhaltung der Abtreibung vorzunehmen. Daraus — wie kürzlich in Rom geschehen - den Schluß zu ziehen, die an sich schon bedenkliche unterschiedslose Klassifizierung von Abtreibung als Ausdruck einer mörderischen Gesinnung auch noch auf die Empfängnisverhütung auszudehnen, ist wider die überwiegende kirchliche Tradition, wider Vernunft, Moral und Menschlichkeit.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Kirchenrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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