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Loyale Opposition

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24 Jahre alt, hat der Autor in dem ereignisreichen Jahr 1933 ein vielgelesenes Buch herausgebracht, das vor allem die Jungen der Generation von damals stark bewegte: „Jesuiten, Spießer und Bolschewiken“. Mit seinem jetzt erschienenen Buch „Luftschlösser, Lügen und Legenden“ stellt er sich als einen „rechtsdralligen Liberalen“ vor, der kein Konservativer im landesüblichen Sinn sein will; ein loyaler Opponent in kirchlichen Dingen. Die Courage, die zu so einer geistigen Diszipliniertheit in unserer Zeit gehört, wird auf jeder der 336 Seiten des Buches (vor allem auch in den sauber gearbeiteten Anmerkungen) gut lesbar und verständlich. Der Autor Erik von Kueh-nelt-Leddin hat auch den Schutzumschlag entworfen. Das Bild des Drachen, des Schlosses und der Fledermaus läßt den Band in der Auslage des Buchladens wie ein Märchenbuch erscheinen. Und es ist ein Märchenbuch. Denn es erzählt von jenen teuflischen Märchen, mit denen zu allen Zeiten die Rattenfänger ihre Gefolgschaft sammeln: ihre Erzählungen von den Luftschlössern ihrer Utopien, von den Lügen ihrer Ideologien und von den Legenden, die sie dem armen Hund, der in ihren Händen der moderne Mensch ist, als Mittel zur Selbstbehauptung anbieten. Nach dem Jahrzehnt der „Ent-ideologisierung“ ist diese Demaskie-rung der Ideologien, die in der Tarnkappe angeblich ideologiefreier Sachgerechtigkeit unter uns waren, fällig und erfrischend. Unsereins und jedermann bekommt dabei unver-

Sehens eins weg, wenn man, scheinbar standortsverwandt mit dem Autor, plötzlich bemerkt, daß man Insasse eines der Luftschlösser ist, Lüge für Wahrheit hält und fromme Legenden im Paperback des Sachbuches verschlingt. Theologen werden in diesem Sinne die Ausführungen über die Kirche in der Krise erleben. Die Intellektuellen finden sich nach Lektüre am Rand des Schlammmeeres der Standpunktlosigkeit der sechziger Jahre. Christen, die keine Staatsbürger einer traditionellen Kolonialmacht sind, werden plötzlich gewahr, was auch ihnen im Zeitalter des Kolonialismus zu tun übrig geblieben wäre (und ist). Demokratisierung der Demokratie, Technisierung und Inflation aller Rekorde des Fortschrittes, solche und ähnliche Aufschriften halbleerer Medizin-fläschchen, die auf dem Nachttisch des kranken Menschen von heute stehen, werden nicht als Rezepte angeboten, sondern an Hand zweifelhafter Heilerfolge analysiert. In der Buchbesprechung darf vergröbert werden, was der Autor con sordino verlautet: der Marsch in die „vaterlose Gesellschaft“ ist die Suche nach dem Vater geworden; anti-autoritäre Demontageversuche erweisen sich nicht nur als zuweilen höchst autoritätsgebunden und -gläubig, sie zeigen die Unzulässigkeit manches Verzichts auf Autorität auf, deren Träger versagte; und die Eliten des Umsturzes sind alles eher als egalitär orientiert. Das letzte Wort läßt der

Autor dem Herrn: Die Pforten der Hölle werden sie (die Kirche) nicht überwinden. Zumal Theologen sollten sich dieser Promesse ihres Chefs erinnern, wenn sie jenen Mischmasch zeitlich gebundener ideologi-sierender Metaphysik anrühren und in die Verstrickungen der Immanenz geraten. Der Autor hat 40 Jahre nach seiner Beschäftigung mit Jesuiten, Spießern und Bolschewiken nicht verlernt, sich und andere zu ärgern. Das aber ist nach Andre Gide verläßliches Zeichen, daß man nicht alt geworden ist. Die Enkel derer von 1933 sind außerdem daran, sich aufs neue zu ärgern.

LUFTSCHLÖSSER, LÜGEN UND LEGENDEN. Ein Spektrum der Gegenwart. Von Erik von Kuehnelt-L e d dihn. Verlag Herold, Wien-München 1972. 336 Seiten, Preis S 248.—.

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