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Mißglückte Demontage

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Zahlreiche Indizien weisen darauf hin, daß es Rudolf Krämer-Badonl vieiledcht gar nicht so sehr, wie er vorgibt, darauf ankam, die neue Linke als schalen Aufguß der Anarchisten von gestern und diese infolge ihrer Machtabstinenz als historische Totgeburt zu entlarven. Sondem, daß es ihm wichtiger war, an Hand einer Geschichte des Anarchismus, die immer auch eine Geschichte des Krieges sein muß, den Marx gegen die Anarchisten geführt hat, erste-rem kräftig eines auszuwischen. Wahrscheinlich wollte er mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das ResiUtat ist das bei solchem Beginnen übliche: edn ziemlich undefinierbarer Brei. Er liefert eine Fülle von interessantem Material, daneben eine Fülle von Nebensächlichem, kann auch ein paar wohlgezielte Patzen längst vertrockneten Drecks erfolgreich plazieren, läßt freilich aUes aus, was nicht in sein Konzept paßt und verfährt dabei — etwa Gustav Landauer gegenüber — leichtfertig bis zur historischen Fälschimg. Von Thoreau hat er offenbar überhaupt nichts gehört, aber das ganze Buch trägt die Spuren einer Schludrigkeit von ungewöhnlichen (und das will etwas heißen!) Ausmaßen. Große formale Chancen läßt sich der Autor entgehen, vor allem die Chance, seinem tiefenpsychologisch, aber inkompetent gedeuteten Baku-nin einen ebenfalls aus Herkunft und Kindheit entwickelten Marx gegenüberzustellen, wofür sich Material in FüUe angeboten hätte. Was Krämer-Badoni dafür in überreichem Maße bietet: Polemik von einer kaum mehr überbietbaren Simplizität und Schnoddrigkeit. Beides in einer Dosis, die disqualifiziert.

Doch Schnoddrigkeit und simple Polemik sind immer noch weniger bedenklich als die Selbstverständlichkeit, mit der hier jede Untat, die irgendwann mit irgendwelchem Protest gegen die Gesellschaft zu entschuldigen versucht wurde, anarchistische Züge annimmt. Das beginnt in der ersten Zeile des ersten Kapitels, wo, auf daß das Programm dieses Buches sofort klar werde, der Mord von Hollywood mit den Anarchisten in Verbindung gebracht wird. Einige Fälle aus dem vorigen Jahrhundert sind nicht viel mehr wert. Und der Anschlag auf ein jüdisches Altersheim in München gibt unserem Autor Anlaß, flugs zu „vermuten, daß es sich um linke Gruppen handelt".

Taschenspielerhafte Gesten („Auch das setze ich ohne Kommentar hie-her, aber ich werde gleich sagen, was das Ganze bezweckt") ersetzen Argumentation. Geschmacklosigkeiten („Und wenn heute irgendwelche Dubceks oder andere junge Sozialisten mit noch undefloriertem Gemüt…") sollen wohl wettmachen, was an polemischem Esprit fehlt. Danebengegangene Anlehnungen an deftiges APO-Deutsch gehen skurrile

Verbindungen mit antiquierten Floskeln edn: „Dies den tiefsinnigen Klugscheißern ins Stammbuch."

Manchmal scheint der Verfasser in der Hitze seines seltsamen Gefechtes einfach zu vergessen, was er einen Absatz weiter oben schrieb. „Nun könnte natürlich ein heutiger Parteigänger der Anarchisten oder, was noch häufiger vorkommt, ein Mensch mit viel Verständnis für Kriminelles verlangen, daß man die allgemeinen sozialen Verhältnisse der damaligen Zeit sorgfältig berücksichtigt. Darum will ich mich keineswegs herumdrük-ken."

Tut er aber. Der Leser „mit viel Verständnis für Kriminelles" (derlei Hiebe sitzen immer) erfährt anschließend und auch im ganzen Buch kaum ein Wort über soziale Verhältnisse. Vieles, was Krämer-Badoni zitiert, relativiert oder widerlegt, was er selbst formuliert. Dies der große Vorteil eines mit so vielen Zitaten aufgefüllten Buches. Mit Ach und Krach könnte man sich aus den Zitaten sogar selbst eine akzeptable Geschichte der anarchistischen Bewegung zusammenreimen. Und einige der Zitate sind Schätze. So etwa der Nachruf des alten Malatesta auf Lenin. („Lenin ist tot. Man kann die Faszination teilen, die große Männer wie er trotz falscher Richtung und schädlichen Einflüssen auf die Massen ausüben…")

Krämer-Badoni vermag auch von der Notwendigkeit zu überzeugen, Kropotkins „CJegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt" zu lesen, die in der Absage an einen im Darwinismus nirgends begründeten mißverständliehen Sozialdarwinismus Erkenntnisse der modernen Verhaltensforschung vorweggenommen zu haben scheint. Wo sich Krämer-Badoni persönlich in kritischer Interpretation der Verhaltens-forschxmg versucht, tut er sich ein bisserl schwer.

Seiner im Vorwort angesprochenen Zielgruppe, den „netten Daddies" der jungen Linken von heute, mag es genügen, daß seine Ausführungen in der „These" gipfeln; „daß sich die ökonomische und die politische Freiheit der Individuen innerhalb unserer in Transformation begriffenen Gesellschaft eher bewerkstelligen läßt als in den versteinerten ibolsche-wi&tischen — und das ist nun wörtlich gemeint — Herrschaftsbereichen".

Was kaum eines Beweises mehr bedurft hätte. Und vor allem nicht eines Beweises, der vorgibt, jene „Abgeordneten und Minister" aufzuklären, denen Krämer-Badoni die Hoffnung unterstellt, „durch munteren Kurs die sogenannte APO zu integrieren …".

ANARCHISMUS: GESCHICHTE UND GEGENWART EINER UTOPIE. Von Rudolf Krämer-Badoni. Verlag Molden, Wien. 288 Seiten, S 254.—.

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