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„Möglichst zur Einmütigkeit"

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Am 22. März werden in ganz Österreich neue Pfarrgemeinderäte gewählt. Hinter den Diskussionen vor dieser Wahl steht für den Wiener Pfarrer Paul Weß die auf dem Konzil ungelöste Frage nach dem Verhältnis von Hierarchie und communio überhaupt.

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Am 22. März werden in ganz Österreich neue Pfarrgemeinderäte gewählt. Hinter den Diskussionen vor dieser Wahl steht für den Wiener Pfarrer Paul Weß die auf dem Konzil ungelöste Frage nach dem Verhältnis von Hierarchie und communio überhaupt.

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„Sinn der Pfarrgemeinderatsarbeit wird es immer sein müssen, im gemeinsamen Bemühen möglichst zur Einmütigkeit zu gelangen, in der das Rechte erkannt und verwirklicht wird." Dieser Satz steht in der Handreichung zur neuen Pfarrgemeinde-ratsordnung der Erzdiözese Wien, die viele Diskussionen ausgelöst hat (FURCHE 48 und 50/91 sowie 5/92). Leider ist es nicht gelungen, dieser zentralen Aussage in der PGR-Ordnung selbst eine rechtliche Gestalt zu geben. Im folgenden soll wenigstens versucht werden, den Begriff der Einmütigkeit zu klären und ihre Voraussetzungen aufzudecken.

Zunächst, was Einmütigkeit nicht ist: Einmütigkeit ist nicht eine oberflächliche Übereinstimmung auf der Basis einer anti-autoritären individualistischen Selbstbestimmung, in der jede(r) sein eigener Herr oder ihre eigene Frau bleibt und nur soweitmit anderen zusammenwirkt, als es ihm oder ihr eben leicht fällt und gerade paßt; also ohne jeden höheren Anspruch, unter dem alle stehen würden. Es wäre nur das gemeinsam und verbindlich, dem „alle locker zustimmen", wie es einmal ein Vertreter dieser Ansicht formulierte, und solange sie es tun (denn niemand will sich binden). Jede darüber hinausgehende Verbindlichkeit wird unter Berufung auf eine - in Wirklichkeit „repressive" - Toleranz unterdrückt.

Einmütigkeit ist nicht das andere Extrem zu dem eben geschilderten, nämlich die autoritäre Meinungsbestimmung durch einen einzelnen, dem alle zu gehorchen haben und der allein herausfinden soll, was die -womöglich noch unverbesserbare -Wahrheit ist.

Einmütigkeit ist nicht eine Art Kompromiß zwischen diesen beiden Extremen, eine demokratische Meinungsbildung in dem Sinn, daß einfach die Mehrheit oder die von ihr gewählten Vertreter (mehrheitlich) entscheiden, was gut und richtig ist. Sie bedeutet also nicht eine „kollektive" Entscheidungsfindung durch ein Gremium, in das der einzelne gleichsam aufgeht und dem er seine persönliche Verantwortung unterstellt. Das kann leicht dazu führen, daß sich niemand mehr wirklich verantwortlich fühlt und alle sich auf das „Kollektiv" ausreden wollen (das ist nicht der letzte Grund, warum das kommunistische System zusammengebrochen ist).

Einmütigkeit ist nicht (immer) Einstimmigkeit. Sowohl deshalb, weil diese Einstimmigkeit auch durch Gruppendruck oder durch einen autoritären Leiter zustande kommen kann, als auch deshalb, weil mehrere Menschen durchaus im Grunde eines Mutes (Geistes, Sinnes) und dennoch in einer konkreten Frage verschiedener Meinung sein können. Der springende Punkt ist, ob sie alle das Ergebnis der Meinungsbildung beziehungsweise die beabsichtigte Entscheidung noch mit ihrer Grundüberzeugung -mit ihrem Gewissen - vereinbaren können, auch wenn sie das Resultat nicht für das beste halten.

Einmütigkeit zwischen zwei oder mehreren Personen ist dann gegeben, wenn die Betreffenden die Entscheidung so ernst nehmen, als ob sie sie allein treffen und verantworten müßten und dennoch zu einer gemeinsamen Lösung kommen, die alle noch mittragen und mitverantworten können, auch wenn nicht alle sie für die beste halten. Es darf also niemand gegen sein Gewissen handeln müssen. Dabei sind noch zwei Möglichkeiten gegeben: Entweder die letzte Entscheidung bleibt bei einem einzelnen, falls trotz allem Ringen diese Einmütigkeit nicht erreicht wurde (dann sind die anderen auch in ihrem Gewissen entlastet), oder alle stellen sich unter den Anspruch, auch die letzte Entscheidung einmütig zu treffen. Also: „möglichst zur Einmütigkeit" oder „auf jeden Fall einmütig".

Eine solche Einmütigkeit hat folgende Voraussetzungen, die in der ersten Form (möglichst viel Mitverantwortung) zumindest teilweise, in der zweiten (volle Miteinanderverant-wortung) vollständig gegeben sein müssen:

1. Einmütigkeit in den Grundsatzfragen und in den entsprechenden Haltungen (in der gemeinsamen Basis) über die geistigen Prinzipien, die Aufgaben und die Wirkweise des Gremiums: Man kann nicht bei jeder Frage wieder von Null beginnen, die nötige gemeinsame Grundübereinstimmung immer erst erringen müssen. Das schließt eine weitere Verbesserung oder teilweise Korrektur dieser Grundlagen nicht aus. Aber auch diese muß einmütig erfolgen. Diese Zustimmung ist nicht bloß faktisch momentan, sondern verbindlich und gilt auch für die Zukunft. Sie versteht diese gemeinsame Basis nicht nur als Zielvorstellung, sondern als verpflichtende Prinzipien für die Praxis.

2. Auch konkrete Entscheidungen in Einzelfragen stehen unter diesem Anspruch der Einmütigkeit (Konsensprinzip). Die Voraussetzungen und die Bereitschaft für den dafür nötigen Aufwand an Zeit und Energie sind vorhanden (man kann nicht vorher festlegen, wann die Sitzung zu Ende sein muß). Falls die Einmütigkeit in einer solchen Detailfrage nicht (rechtzeitig) erreicht wird, muß geklärt sein, wer die letzte Entscheidung zu treffen hat (falls ein Glied des Gremiums mit der Letztverantwortung betraut ist, muß dieses die letzte Entscheidung treffen oder ihr zustimmen).

3. Diese beiden genannten Voraussetzungen werden von jedem Mitglied des Gremiums auch alten anderen zugemutet und abverlangt, die auf dieselbe Weise mitentscheiden können sollen, sind also auch die Bedingungen für die Zugehörigkeit (werden daher von allen anerkannt, die aktiv oder passiv an der Wahl der Mitglieder dieses Gremiums mitwirken wollen).

In der Anwendung auf den Pfarrgemeinderat bedeutet dies, daß hier diese Voraussetzungen teilweise ungeklärt und/oder gelegentlich nicht vorhanden sind, weshalb es notwendig zu Schwierigkeiten kommt und das Kirchenrecht beziehungsweise die diö-zesane Pfarrgemeinderatsordnung eher von einem Minimum ausgehen (Pfarrgemeinderat als bloß Rat gebendes Gremium) und deshalb den Eindruck erwecken, hinter das Konzil mit seiner Vision von Kirche als communio zurückzugehen. Das beginnt schon bei der fehlenden gemeinsamen Basis. Diese ist heute in der Kirche weitgehend umstritten. Verschiedene Glaubensverständnisse, Kirchenbilder und Amtsauffassungen stehen nebeneinander und widersprechen einander. Sie können nicht Grundlage gemeinsamer Entscheidungsfindung sein. Das Konzil hat hier Schleusen geöffnet, aber es wurde noch kein neues Flußbett gefunden. Auch das Neue Testament genügt nicht als Basis. Es ist selbst aus mehreren Traditionen entstanden, kann verschieden ausgelegt werden (weshalb es auch Konzilien und so weiter braucht) und wird es heute auch (man denke nur an die Feministische Theologie).

Aber auch wenn es diese Basis schon wieder gäbe, wären die Voraussetzungen und Formen ihrer Aneignung noch nicht geklärt beziehungsweise ist diese manchmal nicht erfolgt. Mit anderen Worten: Die Baby- oder Kindertaufe ohne ein nachgeholtes Katechumenat mit dem Abschluß in einer Erwachsenentauferneuerung muß für die Kirche zum Bumerang werden, sobald sie auf einem Konzil alle Getauften für grundsätzlich mündig erklärt, ohne sich über die Durchführung dieser Zielvorstellung konkrete Gedanken zu machen (Hansjakob Stehle sagte einmal treffend:

Das Konzil hat zwar Weichen gestellt, aber keine neuen Geleise gelegt; man kann hinzufügen: Nun bleibt der Zug stecken, und manche wollen auf die alten Geleise zurück).

Solange eine intensive und auch erkennbare Aneignung des Glaubens mit seinen moralischen Konsequenzen dem erwachsenen Menschen fast nur in Ordensgemeinschaften und in Priesterseminarien ermöglicht und zugemutet wird, kann sich die Kirche nur auf Ordensleute und Priester verlassen und muß ihnen die letzte Verantwortung vorbehalten. Es fehlen noch weitgehend die entsprechend intensiven (überschaubaren) Gemeinden, in denen gemeinsames gläubiges Leben ursprünglich erfahren, eingeübt, gelebt und so auch wieder anderen zugänglich werden kann.

Zu diesem Hineinwachsen in einen mündigen Glauben in der verbindlichen Glaubensgemeinschaft der Kirche würde dann auch die Annahme der weiteren obigen Voraussetzungen gehören. Ein kleiner Schritt in diese Richtung ist die Bestimmung in der Wahlordnung der neuen Wiener Pfarrgemeinderatsordnung, daß die Kandidat(inn)en „sich zur Glaubenslehre und Ordnung der Kirche bekennen" müssen.

Aber was heißt das konkret, und können sie dies allein beurteilen? Genügt dafür der Religionsunterricht oder immer ein Theologiestudium? Die ganze Problematik zeigt sich auch im Kirchenrecht (can. 204): „Gläubige sind jene, die durch die Taufe Christus eingegliedert...sind." Die Taufe bewirkt doch nicht den Glauben! Schon im nächsten Kanon wird differenziert: „Voll in der Gemeinschaft der katholischen Kirche in dieser Welt stehen jene Getauften..."

Hier stoßen wir auf die Fragen, über die bei den Auseinandersetzungen um eine Pfarrgemeinderatsordnung zuerst diskutiert werden müßte. Daraus würden sich ganz neue Perspektiven ergeben, nicht nur für den Pfarrgemeinderat, sondern für die auf dem Konzil ungelöste Frage nach dem Verhältnis von Hierarchie und communio überhaupt (auch für Bischofssynoden et cetera). Unter den Voraussetzungen einer solchen Einmütigkeit ließe sich wohl auc*- ein verbessertes Priesterbild entwickejn. Es wäre dann möglich, doch an den Visionen des Konzils festzuhalten und sie mühsam in die Praxis umzusetzen. Daß diese Mühe allen Beteiligten nicht erspart werden kann, zeigen die teilweise schmerzlichen Erfahrungen in der Gemeinde, in der diese Überlegungen entstanden sind.

Der Autor ist Pfarrer in Wien-Machstraße und Autor des Buches „Ihr alle seit Geschwister -Gemeinde und Priester". Er befaßte sich jüngst inder,.WienerKirchenzeitung"(8. März 1992) mit der Wiener Pfarraemeinderatsordnung.

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