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Neuoffenbarungen?
Wo fängt der Begriff Sekte an?
HANS GASPER: Mir ist wichtig festzustellen, daß wir den Begriff Sekte nicht diffamierend ver-wendenwollen. Wir gebrauchen ihn mehr oder minder pragmatisch für Sondergruppen, die mit den Kirchen keine ökumenische Beziehungen unterhalten, die sich von der Kirche separiert haben, einen eigenen Status haben, eigenes got-tesdienstliches Leben und in der Regel auch sich auf eigene Sonder-offenbarungen beziehen...
Es gibt zwischen den großen Kir-chen einen gewissen sehr breiten Grundkonsens über das, was christ-lich ist... Wenn dann eine Gruppe kommt und ihr eigenes Buch neben die Bibel stellt als gleichrangige Offenbarungsquelle - und de facto über die Bibel stellt, daß man sagt, die Bibel ist nur insoweit offenbart, als sie mit unserer Offenbarungs-quelle übereinstimmt, dann ist ein-fach hier neben der Tradition, die in den Kirchen allgemein als ver-bindlich angesehen wird, eine Son-dertradition etabliert und damit ist das Band auch zerrissen zwischen den Gruppen...
Medjugorje ist im Grunde genom-men genau dasselbe: Nie angefoch-tene Tradition ist, daß Privat- und Sonderoffenbarungen innerhalb des kirchlichen Raums nur insoweit ihr Recht haben, als sie der Offenbarung, die in der Schrift deponiert ist und die durch Jesus Christus gekommen ist, nicht wi-dersprechen, als sie damit gleich sind. Und dazu kommt noch, daß solche Privatoffenbarungen, sie mögen noch so bedeutsam sein, auch dann, wenn die Kirche sagt, das kann akzeptiert werden, nie eine eigentliche Verbindlichkeit erlangen. Wenn ich sage, Lourdes halte ich persönlich nicht für akzeptabel, dann verstoße ich damit nicht gegen den katholischen Glauben.
Diese Freiheit läßt mir die Kirche. Die Kirche erhebt solche Pri-vatof f enbarungen nicht in den gleichen Rang wie die Bibel. Das ist ein Faktum, das man immer wieder feststellen kann bei der Gründung von Sondergruppen, daß irgendwel-che Propheten auftreten, die oft sehr interessante Offenbarungen haben, die dann de facto oder in der Regel zum Maßstab gemacht werden für das, was in dieser Gruppe als wahr gilt, die dann auch über die Bibel gestellt werden, die oft dann sogar die Bibel ersetzen.
Manche Sekten verwenden Lite-ratur aus dem Osten, wo wir auch heute sagen, daß es nicht nur wert-volle Literatur ist, sondern gerade auch vom Aspekt des Religiösen mit höchstem Respekt zu betrachten ist. Mit welchem Recht kann man sagen, das ist eine Sekte, wo sie eigentlich auf eine solche tiefe Tradition zurückgreifen?
GASPER: Auf der einen Seite kann man natürlich sagen, daß das, was in den großen Religionen de-poniert ist, großes religiöses Menschheitsgut ist, das wir ernst-zunehmen haben. Wenn wir das II. Vatikanische Konzil für uns akzep-tieren, können wir an diesen Dingen nicht vorbeigehen, sondern haben es auch mit Ehrfurcht zu hören. Auf der anderen Seite ist ein Spezif ikum gerade in unserer europäischen Situation, daß religiöse Mischkulturen entstehen, bei denen man sich von überall etwas nimmt...
Hier liegt uns auch ein bißchen daran, zu zeigen, wenn du dich über Hinduismus informieren willst und so weiter, dann gehe nicht unbedingt zur nächstbesten Gruppe, sondern gehe tatsächlich an große Texte und schaue selber nach, in welchen Zusammenhängen das steht. Es sind die Zusammenhänge oft größer, reicher, als es selektiv angeboten wird.
Häns Gasper ist theologischer Grundsatzre-ferent bei der Deutschen Bischofskonferenz, Zentralstelle Pastoral. Aus einem ORF-Journal-Panorama-Interview von Hubert Arnim-Elissen.
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