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Nicht nur phantastisch

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Der Moralist und der Künstler, vor allem der Künstler in Rudolf Henz haben verhindert, daß ihm sein neues Werk zum Bestseller geriet, zu dem es alle Verführung in sich trug. So zeitgemäß realistisch wie unzeitgemäß wahr ist diese Utopie ausgefallen. Ihre Erfindung, in protokollarischer Tagebuchform abgefaßt, mutet bis in die winzigsten Details hinein so natürlich an, so wahrscheinlich, daß man lange lange Zeit an keinen phantastischen Roman denkt, sondern glaubt, einen echten Bericht, die Wirklichkeit vor sich zu haben, und im Helden den Autor. Dabei ist dieser Held erst 25, wie man später erfährt. Erst bei den „halbverrückten Küssen“ für das geliebte Illustriertenmädchen Petra glaubt man die Vorstellung einer Personalunion mit dem greisen Dichter aufgeben zu müssen. Primitiver, aber ehrlicher Leser? Vielleicht nur eine doppelte Bestätigung: Für das ungewöhnliche Können dieses Autors, aber auch für die Wahrheit des dem Buch vorangestellten Mottos: Die Möglichkeit des Unmöglichen werde uns retten. Ein Wahn, gewiß, doch nicht notwendig ein leerer.

Der Inhalt dieses Romans, vom Verlag gekürzt und mit aller wünschenswerten Klarheit auf den Umschlag projiziert, kommt beim Lesen nicht mit der gleichen, alles enthüllenden Deutlichkeilt und Eindeutigkeit heraus. Wohl ahnt man es bald, daß dies „der Protest eines Propheten gegen die andringende Barbarei“ sei. Ob es aber wirklich ernst oder am Ende doch nur ironisch gemeint sei, darüber getraut man sich nach den im Stile einer Vielleicht-Philosophie gegebenen Äußerung des antiheldischen Protokollierers nicht recht zu entscheiden. Man bezweifelt auch im Grunde nicht, daß nach dem negativen Ausgang der geschilderten äußerlichen Unternehmungen nun, mottogerecht, die inneren gelingen werden, daß die Kommunenhure Petra sich verwandeln wird. Doch ist es so sicher, daß sie eine wahr? Alles nur vielleicht. Und wenn auch: Ist doch gegen Liebe kein Kraut gewachsen. Und noch ehe man Nestroys „Möglich ist's schon, aber wahrscheinlich nicht!“ einwerfen kann, hat das Feingefühl des Autors solchen Einwand schon verhindert, ist die unwahrscheinliche Verwandlung nur das Aufgeben eines Spieles.

Die scheinbar vollkommene Dek-kung dieser Geschichte mit der möglichen Wirklichkeit, ihr Mangel an Utopischem also, ist es auch, was sie schon wieder phantastisch macht. Warum sollte nicht heute wirklich so ein Team, bestehend aus einem Soziologen, einem Gewerkschaftsfunktionär und einem Theologen in Begleitung eines jungen Reporters von zwielichtigen Unternehmern und in zweifelhafter Absicht auf eine vergessene Insel am Atlantik geschickt werden, wo es kurze Zeit einen nur vorgeschobenen Zweck erfüllt: Die Erkundung von Rettungsmöglichkeiten für die durch Techno-kratie aufs äußerste gefährdeten Welt? Utopie wäre diese Insel, hätten nicht russische Forscher und amerikanische Flugzeugträgerbesatzung dort bereits Quartier genommen, hielten nicht Nudisten und Sexfilmer schon ihren Strand besetzt, wären nicht ihre Einwohner Abkömmlinge europäischer Deserteure oder sonstiger ua^eingeborener Herkunft, genau jenes Zustandes von Ruhe, Einsamkeit und Stille überdrüssig, den ihnen die Insel-forscher verlockend schildern.

Das Abenteuer endet für den Helden in einer bescheidenen amerikanischen Mietwohnung. Dorthin rettet er auch die einzige Ausbeute: Petra. Und die beiden verzichten auch, mehr einem Instinkt folgend als etwa aus moralischen Gründen, auf vierstellige Dollarsummen, die ihnen von Zeitungen für ihre Erlebnisprotokolle aus der Inselzeit geboten werden. Sie leben von ihrer Arbeit. Und das bescheidene Ergebnis? Da ist die Hoffnung, doch noch eines Tages ein Institut aufzubauen — vielleicht unter dem Namen des einstigen gescheiterten Inselunternehmens „Leonardo“ — wo man dann Fanatiker der Rehumanisierung heranziehen wird. Und da ist die Hoffnung, ihre größte: ihre Liebe zueinander.

Weshalb „Leonardo“? Weil uns das Vorbild des großen Renaissancegenies, das in sich den Künstler mit dem Techniker in Harmonie verband, daran gemahnen soll, daß die technische Welt von heute weder unsere Hingabe in einem Leben für die Technik, noch eine technische Kunst verlangt, wie viele behaupten möchten. Der Katholik Henz hat noch ein Anliegen: Die Kirche. Ihre Vertreter äußern sich unmißverständlich in seinem Namen im Buch über sie, über Religion und Glauben.

Ein gescheites Buch, bei aller Wärme das Werk eines Intellektuellen, dessen Gedankentiefe sich hinter gerafft-einfachen Formulierungen verbirgt. Die Wahl zwischen futurologischer Operette und gegenwartsbezogenem Denkspiel hat ein Künstler für sich entschieden.

UNTERNEHMEN LEONARDO, ein nicht nur phantastischer Roman. Von Rudolf Henz. Verlag Styria, 112 Seiten.

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