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Nixons Zeitbombe

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Im besten Nixon-Stil wurde in der Nacht von Sonntag auf Montag eine Fernsehshow abgezogen, die den Wirtschafts- und Finanzgewaltigen in aller Welt die Rede verschlug. Sie hatten zwar alle gewußt, daß Amerika „etwas tun“ müsse, viele hatten es sogar gefordert, aber nun, da es soweit war, herrschte Schrek- ken und Verwirrung.

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Im besten Nixon-Stil wurde in der Nacht von Sonntag auf Montag eine Fernsehshow abgezogen, die den Wirtschafts- und Finanzgewaltigen in aller Welt die Rede verschlug. Sie hatten zwar alle gewußt, daß Amerika „etwas tun“ müsse, viele hatten es sogar gefordert, aber nun, da es soweit war, herrschte Schrek- ken und Verwirrung.

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Gewiß, sie hatten die Einzelheiten nicht gekannt, nicht genau vorausgesehen, wie der Hase laufen werde: Nixons Polstertüren sind für amerikanische Verhältnisse (wir erlebten es kürzlich auch im Falle der Chinapolitik) erstaunlich dicht.

Die Maßnahmen verfolgen zwei Zwecke: einmal die amerikanische Wirtschaft anzukurbeln, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Inflation zu bremsen, zum anderen die internationale Stellung des Dollars zu festigen, eine Neuordnung des Währungssystems zu erzwingen. Dem ersten Zwecke sollen Steuersenkungen und Budgetkürzungen wie auch ein neunzigtägiger Lohn- und Preisstopp dienen, dem zweiten eine zehnprozentige Einfuhrabgabe auf alle nichtkontingentierten Waren und — als schwerwiegendste und aufsehenerregendste Maßnahme, als Zeitbombe, die früher oder später das ganze Weltwährungssystem hochgehen lassen wird, deren Auswirkungen wir noch zu spüren bekommen werden — die Aufhebung der Konvertierbarkeit des Dollars; genauer gesagt wurde die Verpflichtung beseitigt, den Dollar gegen Gold und „andere Deckungsmittel“ (lies: harte Währungen) einzutauschen. Mit anderen Worten: Wer heute Dollars hat, bleibt darauf sitzen und mag selber sehen, wie er sie los wird; die einst meistbegehrte Währung der Welt wird in nächster Zeit nur noch unter gewissen Bedingungen und in beschränktem Umfang in die „harten“ Währungen Westeuropas (zu denen auch unser Schilling gehört)

umgetauscht werden. Die Nachkriegsverhältnisse sind nun endgültig auf den Kopf gestellt.

Es gehört Mut und Entschlußkraft für den amerikanischen Präsidenten dazu, dem Nationalstolz seines Landes einen so schweren Schlag zu versetzen, den Offenbarungseid in bezug auf den Fetisch Dollar abzulegen.

Worum es, weltweit gesehen, geht, hat „Die Furche“ erst vor kurzem („Die perfekte Inflationsmaschine“, Nr. 32) näher ausgeführt. Diesmal müssen wir uns fragen, welche Auswirkungen diese Maßnahmen auf Österreich haben werden.

Da sind zunächst die unmittelbaren, handgreiflichen Auswirkungen auf unseren Außenhandel: denn von der zehnprozentigen Einfuhrabgabe sind fast die ganzen österreichischen US-Ausfuhren betroffen. Bei den Waren, für die auf dem amerikanischen Markt mengenmäßige Beschränkungen bestehen, handelt es sich vor allem um landwirtschaftliche Güter und einige Baumwollerzeugnisse; zu diesen zählt von den österreichischen Ausfuhrwaren im großen und ganzen nur Käse. Aber die Lieferungen in der Gruppe Ernährung (zu der neben Käse vor allem die nichtkontingentierten Süßwaren gehören) machten im Vorjahr 181 Millionen Schilling aus, das sind ungefähr sechs Prozent unserer US-Exporte.

Statistisch gesehen, ist unsere Amerikaausfuhr überhaupt nicht sehr bedeutend. Wir besitzen keine großen Autofabriken, in denen jetzt infolge der Einfuhrabgabe das große Zittern um die Amerikalieferungen ausgebrochen ist. Von den Waren im Wert von 74 Milliarden Schilling, die wir 1970 ausgeführt haben, gingen nur solche für 3 Milliarden Schilling in die Vereinigten Staaten.

Freilich dürfen wir nicht vergessen, daß hinter den Zahlen Schicksale stehen. Für jene Unternehmen, die sich mit viel Mühe und hohen Kosten ein Absatzgebiet in Amerika geschaffen, sich weitgehend dorthin ausgerichtet haben in der Überzeugung, daß es sich um einen schwierigen, dafür aber einen freien Markt handle, ist die Einfuhrabgabe ein harter Schlag; das ist um so bedauerlicher, als die meisten US-Be- lieferer leistungsfähige Betriebe sind, die hochwertige Waren herstellen.

Aber viel stärker als die unmittelbare Amerikaausfuhr fallen die noch gar nicht absehbaren Folgewirkungen ins Gewicht. Die Erschwerung der Amerikalieferungen wird den Wettstreit um die übrigen Märkte verschärfen und den österreichischen Ausfuhren ganz im allgemeinen da und dort recht hart zu schaffen machen.

Viel kritischer als die Einfuhrabgabe wird voraussichtlich die Folgewirkung der aufgehobenen Konvertibilität des Dollars sein. Ihr Zweck besteht ja nicht zuletzt darin, die übrigen Industrieländer zur Aufwertung ihrer Währung zu zwingen, und mögen sich diese, wie etwa Frankreich und Japan, noch so sehr dagegen sträuben.

In Japan etwa, wo am Montag die Devisenbörsen offen waren, verkauften die Banken der Zentralbank binnen weniger Stunden 300 Millionen Dollar zum offlizellen Kurs von 357,30 Yen. Bleibt Japan weiter bei der alten Parität, so wird die Zentralbank bald in den Dollars ersaufen.

Österreich wird aber bei einer allgemeinen Aufwertung mitziehen müssen. Da aber beginnt wieder das Elend mit den Dollar-Fakturen, die schon bei der letzten Aufwertung des Schillings so arg zu schaffen machten und manches Unternehmen in die roten Zahlen treiben: die COMECON-Länder einerseits und die meisten Überseeländer anderseits (ausgenommen ein Häuflein unentwegter Pfund-Verrechner) bestehen darauf, die Geschäfte in Dollars abzuwickeln; das aber bedeutet, zum mindesten bei den laufenden Geschäften, im Falle einer Aufwertung einen empfindlichen Erlösverlust, gegen den es praktisch kaum eine Absicherung gibt.

Von diesen möglichen Verlusten wären aber fast 30 Prozent der österreichischen Gesamtausfuhr betroffen: 1970 lieferte Österreich für 10,43 Milliarden Schilling nach Übersee und für 9,6 Milliarden Schilling in den Osten. Die Unternehmen, die sich auf diese Märkte eingestellt haben, sehen daher den künftigen Währungsmaßnahmen mit Bangen entgegen.

Aber nicht nur der Außenhandel ist von den amerikanischen Wirtschafts- und Währungsmaßnahmen und den möglichen Folgeerscheinungen betroffen. Wir müssen mit tiefgreifenden Umwälzungen in der gesamten Wirtschaft rechnen. Wenn die Weltleitwährung entliberalisiert wird und womöglich gar ihre Parität ändert, so ist das ein Ereignis von ganz anderen Ausmaßen als alle bisher erlebten Währungsmaßnahmen.

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