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Orthodoxes und Paradoxes

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Wohin Streit in einer Ortskirche führen kann, zeigt sich in Wien: die Serbisch-orthodoxe Kirchengemeinde, seit 1985 von einem vom Staat bestellten Kurator verwaltet, beschäftigt seit Jahren Anwälte und Gerichte.

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Wohin Streit in einer Ortskirche führen kann, zeigt sich in Wien: die Serbisch-orthodoxe Kirchengemeinde, seit 1985 von einem vom Staat bestellten Kurator verwaltet, beschäftigt seit Jahren Anwälte und Gerichte.

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Die 1893 errichtete Serbisch-orthodoxe Gemeinde zum heiligen Sava im dritten Wiener Bezirk gehörte bis zum Ende der Monarchie zur Metro-polie von Czemowitz und unterstellte sich später direkt, unter Betonung der in ihren Statuten festgelegten „autonomen Rechte" (etwa Wahl des Pfarrers), dem Patriarchen von Belgrad.

Aus Furcht, westliche Diaspora-Gemeinden könnten sich einem Exilbischof anschließen, schuf Belgrad am 12. März 1969 eine (später geteilte) Serbisch-orthodoxe Diözese für Westeuropa und Australien, deren Bischof Lawrentije in Wien neue Statuten vorlegte. Da auch das neue österreichische Orthodoxengesetz (1967) eine Statutenreform nahelegte, trat am 15. Juni 1969 eine Vollversammlung der Sava-Gemeinde zusammen.

Diese Sitzung wurde von mehreren Mitgliedern vorzeitig verlassen, es gab kein offizielles Ergebnis. Doch Belgrad bestätigte „neue Statuten", und Österreichs Kultusamt im Unterrichtsministerium sah nun solche als \ innerkirchlich in Kraft getreten an und ignorierte Proteste. Was den Wiener Kirchenrechtler Richard Potz irritiert: „Das heißt, die staatliche Behörde erklärt der Gemeinde, die sich auf ihre alten - für den Staat auch unbestritten weitergeltenden - Statuten beruft, daß innerkirchlich - aber gerade nicht für den staatlichen Bereich -inzwischen andere zu gelten hätten!"

Der nach den alten Statuten unzuständige Bischof von Westeuropa

sperrte die Kirche zum heiligen Sava für Gottesdienste und errichtete 1975 die - bisher staatlich nicht anerkannte - zweite serbische Gemeinde im 17. Bezirk. Dann begann, nachdem 1976 eine Generalversammlung nach den alten Statuten gelungen war, das -ebenso unzuständige - Gericht der Diözese Westeuropa ein Verfahren gegen die in den Leitungsausschuß Gewählten, worauf das Kultusamt die Wahl nicht anerkannte. Dessen Bescheid hob zwar der Verwaltungsgerichtshof auf, aber das Amt bestellte 1985, auf widerstreitende „Gruppen" hinweisend, einen Kurator, was Potz scharf kritisiert: „DerGesetzgeber hat in 12 Orthodoxengesetz den staatlichen Behörden ein Aufsichtsmittel in die Hand gegeben, das an josephini-sche und kulturkämpferische Maßnahmen erinnert und etwa auch vom NS-Staat gegen russisch-orthodoxe Kirchengemeinden eingesetzt wurde."

Die Idee einer Kuratorbestellung als Mittel zum guten Zweck, einer ökumenischen Begegnung auf höchster Ebene, hatte schon 1983 der katholischen Stiftung „Pro Oriente" - im Hinblick auf eine Einladung des Belgrader Patriarchen zum Katholikentag und Papstbesuch nach Wien -gefallen. Im Protokoll eines Gesprächs vom 20. April 1983 (beteiligt „Pro Oriente"-Generalsekretär Alfred Stir-nemann, der von Bischof Lawrentije bestellte Pfarrer, Drago Govedarica, und der Leiter der inoffiziellen serbischen Gemeinde, Miroslav Sapina) wird ein Kurator erwogen, „der die Öffnung der Kirche für vom Patriarchat und vom Bischof entsandte Geistliche sicherstellen kann", und „die dissidente Wiener Gemeindeleitung" erwähnt, was klar auf keine Splittergruppe, sondern auf die die Gemeinde repräsentierende Gruppe hindeutet.

Diese vom Kultusamt abgewiesene Gruppe stört besonders, daß der Ku-

rator Kirche und Gemeinderäume eben Miroslav Sapina und dem vom unzuständigen Bischof eingesetzten Pfarrer vermietete. Gegen die Kuratorbestellung und die Mietverträge laufen Gerichtsverfahren seitens der gewählten Gemeindevertreter. Genau diesen Personen drohte jüngst das (unzuständige) Kirchengericht in München mit Exkommunikation - mit Hinweis auf Paragraphen der alten Statuten. Für Kirchenrechtler Potz paradox: „Da gehen Leute von Statuten aus, die ihre eigene Unzuständigkeit aufzeigen."

Der Leiter des Wiener Kultusamtes, Ministerialrat Felix Jonak, will die Vorgänge „nicht nur kirchenrecht-lich sehen, es geht auch um die geistliche Betreuung vieler Menschen". Er gibt zu bedenken: Mit den Gastarbeitern seien die Probleme gewachsen (der stimmberechtigte Kern der serbischen Diaspora-Gemeinde in Wien, die - es könnten ja Kommunisten eingeschleust werden - nur zögernd Neuaufnahmen zustimmte, besteht ja nur aus ein paar Dutzend Familien). Dazu komme das Problem einer von Laien dominierten Gemeinde, die ihre Geistlichen unter Kontrolle haben wolle, und die Frage, wieweit fast hundert Jahre alte Statuten unter geänderten Umständen noch anwandbar seien. Er hoffe aber, daß die Probleme - zumal es einen neuen Patriarchen in Belgrad gibt und Bischof Lawrentije eine andere Diözese übernimmt - sich bald selbst lösen könnten und der Kurator überflüssig werde.

Ein Ende des Streits steht aus, aber eine genaue Analyse seiner Hintergründe und Auswirkungen könnte über die orthodoxe Kirche hinaus für zukünftige Konflikte zwischen auf Autonomie pochenden Ortskirchen und Zentralstellen, zwischen Laien und Geistlichkeit und zwischen Laien untereinander sehr lehrreich sein.

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