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Plädoyer für Theater, das unterhält

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In der Josefstadt eröffnete man die Saison mit zwei Einaktern von Arthur Schnitzler und Alexander Lernet-Holenia, den wir aus diesem Anlaß um ein Gespräch baten. Für das heutige Theater wird er keine Stücke mehr schreiben, se(ne Meinung, was Theater sein soll, ist hingegen eine festumrissene. Sie klingt in einer Zeit der Problemstücke sehr bestechend, und sie hebt einen .Aspekt ans Licht, der fast verpönt ist unter jenen, die sich , mit dem heutigen Theater beschäftigen: die reine IJnterhaltung.

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In der Josefstadt eröffnete man die Saison mit zwei Einaktern von Arthur Schnitzler und Alexander Lernet-Holenia, den wir aus diesem Anlaß um ein Gespräch baten. Für das heutige Theater wird er keine Stücke mehr schreiben, se(ne Meinung, was Theater sein soll, ist hingegen eine festumrissene. Sie klingt in einer Zeit der Problemstücke sehr bestechend, und sie hebt einen .Aspekt ans Licht, der fast verpönt ist unter jenen, die sich , mit dem heutigen Theater beschäftigen: die reine IJnterhaltung.

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FURCHE: „Ollapotrida“ ist sehr früh entstanden, 1926, es war eines Ihrer ersten Stücke. Wie wichtig ist diese Komödie in Ihrem dramatischen Werk?

LERNET: „Ollapotrida“ ist spanisch und heißt veretunkener Topf. Es ist meine einzig wirklich gut konstruierte Komödie, etwa im Sinne des alten spanischen Theaters.

FURCHE: Ja, die Konstruktion schimmert immer durch. Was wollten Sie mit ihr sichtbar machen?

LERNET: Nichts wUl man in ihr sichtbar machen. Man wiU lediglich die Leute unterhalten. Zum Unterschied von all den jungen Dramatikern, die Predigten halten wollen und politische Überzeugungen verzapfen, ist es eine rein theatralische Angelegenheit.

FURCHE: Wie ist denn Unterhaltung auf dem Theater in Ihrem Sinne zu verstehen?

LERNET; Wenn die Leute lachen. Das Lachen ist das Kriterium der Unterhaltung, oder auch das Schmunzeln, Sich-Amüsieren.

FURCHE: Ist das nicht ein sehr oberflächlicher Anspruch?

LERNET: Nein, nein! Wer heute ins Theater geht, der will entweder unterhalten oder erschüttert werden. Das mit dem Erschüttertwerden ist so ziemlich vorüber, weil die Menschen heutzutage so viele andere Unannehmlichkeiten zu bewältigen haben — und vor allem haben werden —, daß sie sich im Theater amüsieren wollen. Der literarische Gebrauahsgegenstand aller Gebrauchsgegenstände ist die Komödie. Wer mehr verfolgt, etwa politische Zwecke, der schadet der Theaterwirkung, Das Theater ist dann am besten, wenn es keine andere als die Theaterabsicht verfolg. Jeder atmet bei uns doch auf, wenn er in ein völlig unproblematisches Stück hineingeht. Es muß ja nicht die blanke Idiotie sein. Aber es muß ein Theaterstück im eigentlichen nestroyschen Sinn sein. Ich bin kein Prediger für das Versunkene oder Alte, das überhaupt keine Kenntnis von der heutigen Zeit nimmt, nur, die neue Zeit soll sich gewöhnen, in den erprobten, uralten Formen des Theaters zu arbeiten, in Gottes Namen auch „Meinungen“ verzapfen. — Nichts gegen die Progressivität, ich glaube nur, daß sie alle nicht abendfüllend ist, sie muß auch gut sein.

FURCHE: An welche Stücke, an welche junge Autoren denken Sie?

LERNET: Soviel ich weiß, alle.

FURCHE: Ist der Handlungsablauf in „Ollapotrida“ nicht irgendwie „altmodisch“?

LERNET: Nein, es ist ein historisches Stück. Es hält eine Zeit fest, wie sie um das Jahr 1925 war. Wenn man es zugelassen hätte, dann hätte ich in der Josefstadt die Leute auch in den Kostümen des Jahres 1925 auftreten lassen. Auf jeden Fall kämpft mein Stück nicht gegen unsere Zeit. Wenn sich die Leute darüber amüsieren, dann amüsieren sie sich über das Ewige der Situation und dafür spricht, daß das Stück erfolgreich ist.

FURCHE: Vielleicht, weil die geschilderte Situation unter anderen äußerlichen Bedingungen, aber prinzipiell noch stattfinden könnte?

LERNET: Ja und nein. In der Form sicher nicht. In einer neuen Form schon. Die Frauen und Männer würden sich heute gegenseitig nicht mehr ermorden, totschießen oder ohrfeigen, sondern sie würden sich scheiden lassen.

FURCHE: Es wiederholt sich prinzipiell die Untreue zwischen Mann und Frau, und die logische Folgerung ist, daß Beziehungen zwischen beiden Geschlechtern auf die Dauer nicht funktionieren?!

LERNET: Ich fürchte, ja. Die Ehe war damals darauf aufgebaut, daß eine Frau zwischen 5 und 15 Kinder gekriegt hat, sie war damit bis zu ihrem Ende ausgelastet und hat nicht daran gedacht, Seitensprünge zu machen. Und der Mann ist fremd gegangen. Jeder. Dieses Stück ist typisch in einer Zeit entstanden, wo sich die Frau emanzipiert hat von dem, was sie jahrhundertelang unterdrückt hat.

FURCHE: Interessiert es Sie noch, Theaterstücke zu schreiben?

LERNET: Nein. Ich schreibe überhaupt nichts mehr und werde am Schluß davon leben müssen, daß ich die Bilder von den Wänden meiner Freunde stehle und ihnen die Versatzzettel schicke. — Sie werden zum Schluß merken, daß das Nichtstun auf dem Gebiet der Literatur besonders verdienstvoll ist.

FURCHE: So wie es der Georg im „Puppenspieler“ von Schnitzler hält. Nicht zufällig ist Ihrem Stück eines von Schnitrier vorangestellt worden. Wie grenzen Sie sich ihm gegenüber ab, eine Affinität zwischen Ihnen und ihm war immer wieder Gegenstand einer bestimmten Literaturkritik.

LERNET: Ach Gott, wir sindi praktisch aus einer etwas früheren und späteren literarischen Vorkriegszeit, die sich dann auch auf die Zwischenkriegszeit ausgewirkt hat.

FURCHE: Was tritt für Sie dm Werk Schnitzlers in den Vordergrund?

LERNET: Daß er absolut geniale, neue Formen erfunden hat, wie z. B. im „Leutnant Gustl" oder im „Reigen“, daß er außerdem technisch sehr viel gekonnt und geleistet hat. Es haben sich bei ihm automatisch aus der Kenntnis des Handwerks Erfindungen, Erneuerungen ergeben. Ein großartiger Mensch.

FURCHE: Literarische Form und Qualität sind ln Ihrem Werk sehr unterschiedlich. Literatur entsteht ja auch, um Geld zu verdienen, oder um Geld zu verdienen, produziert der Schriftsteller Literatur; Literatur auch, die einen gewissen Anspruch nicht übersteigen soll?

LERNET: Das ist ein bißchen kraß ausgedrückt. Es gibt Dinge, wo man nicht wagt, besser zu sein, als es unbedingt notwendig ist. Wenn ich beispielsweise in die „Ollapotrida“ lauter Geistesblitze hineingeschrieben hätte, wäre es doch trostlos. Alle würden sich denken: was hat der soeben gesagt, was heißt das — es wird dann einfach zu kompliziert für den Zuschauer. Man muß manchmal schlicht schreiben können, wenn man auch davon leben muß, so wie ich, weil der Staat mein gesamtes Geld schon Im Ersten Weltkrieg verwurstelt hat.

Das Gespräch mit dem Dichter und Schriftsteller Alexander Lernet- Holenia führte Rose-Marie Schwarz- waelder.

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