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Polit-Selbstmord

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Ein Phönix stieg aus der Asche, nennt sich „Sozialdemokrati­sche Partei der Republik Polen" und läßt alles hinter sich, was nach Kommunismus riecht. Man brauch­te zwar drei Tage, bis man die alte „ Polnische Vereinigte Arbeiterpar­tei (PVAP)" am Wochenende zu Grabe getragen hatte, aber man hat es geschafft.

Gleich einem besseren Zauber­trick lösten sich Polens Kommuni­sten über Nacht auf. Nach 41 Jah­ren der führenden Rolle an der Weichsel begingen die Jaruzelskis und Rakowskis kollektiven politi­schen Selbstmord. Eine späte Kon­sequenz der betäubenden Wahl­schlappe vom letzten Frühjahr, der Entwicklungen in Ungarn und Rumänien.

Denn es beginnt sich ein Trend in ganz Osteuropa fortzusetzen, der in Ungarn im Oktober begann. Jänos Kädärs „Ungarische Soziali­stische Arbeiterpartei (USAP)" legte sich ein sozialdemokratisches Mäntelchen um, nannte sich zwar noch und nennt sich weiterhin „Sozialistische Partei Ungarns (USP)", doch eine Margaret That­cher steht den „Genossen" näher als Willi Brandt.

In Rumänien existiert nicht ein­mal mehr eine Nachfolge-Organi­sation der durch den Ceausescu-Clan am Boden zerstörten KP. So unzufrieden man mit dem „Rat der Nationalen Rettung" sein kann, die Zahl der Wendehälse läßt sich an einer Hand abzählen. Aber wer schaut schon so genau hin? Ein Ion Ihescu, ein mutiger Politiker, ein Gorbatschow-Liebling, gilt der Bevölkerung schon als zu links. Sie will nichts von den Details wissen, wie sich Iliescu an der Peripherie der Macht halten konnte, wie knapp er einer Inhaftierung entging.

Es scheint, kein anderer als Mik-lös Nemeth, Ungarns derzeitiger Regierungschef, weiß dies besser. Am Vortag des polnischen Liqui­dationsparteitags beschloß er, bei den ersten freien Wahlen am 25. März nicht für die „Sozialistische Partei" zu kandidieren, der allein er überhaupt seine Machtposition verdankt. Nein, er nennt sich einen „Freien". Er verläßt seine Partei und versucht „alleine" sein Glück.

Ein geschicktes Manöver, das blitzschnell Nachahmer findet. Erst vor wenigen Tagen gab der tsche­choslowakische Ministerpräsident Marian Calfa sein Parteibuch zu­rück. Und in der DDR drängten in diesen Tagen die Oppositionellen am Runden Tisch den Regierungs­chef Hans Modrow zur Aufgabe seiner zweiten Funktion als stell­vertretender Partei Vorsitzender der SED/PDS. Modrows Busenfreund und Kollege Berghofer, Dresdens Oberbürgermeister, ging letzte Wo­che bereits von Bord des sinkenden Schiffes. Wer sollte ihm vorwerfen, nicht mehr sein zu wollen als ein bußfertiger Nachlaßverwalter des absterbenden Honecker-Regimes?

Die Erklärung des Dresdener Bürgermeisters und des Berliner Regierungschefs, sie fühlten sich dem Volk und nicht irgendeiner Partei verantwortlich, stößt auf großen Widerhall: Selbst in Jugo­slawien folgt man diesem Trend. Der Belgrader Ministerpräsident Ante Markovic nach dem Fiasko auf dem Parteitag des „Bundes der Kommunisten" ganz locker: „Ju­goslawien wird weiter funktionie­ren - mit oder ohne Kommunisten".

Es scheint, überall in Osteuropa wird den Regierungen und Parla­menten, ob nun aus der Erbmasse einer KP entstanden oder Folge einer großen Koalition, endlich die Rolle wieder zugeschrieben, die ihnen zusteht. Sie sind frei und unabhängig von dem direkten Ein­fluß der Parteien, der kommunisti­schen Parteien, die - eine nach der anderen - auf ihren „verfassungs­rechtlichen" Führungsanspruch verzichten. Zu sehr mit sich selbst beschäftigt, überlassen sie den neu­en Regierungen die politische Spiel­wiese. Und doch spricht alles da­für, daß die neuen Macher, die Reformer, die das kommunistische Vermächtnis auf der Müllhalde der Geschichte endlagern wollen, mit ihren neuen Programmen, ob zu erhoffter Freiheit oder nur zu ei­nem weniger großen wirtschaftli­chen Chaos wird sich erst zeigen, nur als Übergangspolitiker in die Geschichte eingehen werden. Wer wird sich später noch an die Namen Ion Iliescu, Tadeusz Fiszbach, Mi-klös Nemeth oder Hans Modrow erinnern?

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