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Politik und Moral

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FURCHE: Jahrzehntelang be­herrschte die Überzeugung unser Le­ben, daß es von Jahr zu Jahr besser würde. Jetzt breitet sich auf einmal Sorge, ja Zukunftsangst aus. Ist das nur eine Art Wellenbewegung, die wie­der umschlägt?

FISCHER: Sicher gibt es solche hi­storisch verifizierbare Wellenbewe­gungen, zu der freilich konkrete Ursa­chen kommen, die sensible Menschen bedrücken: die ökonomische Krise, Kriegsgefahr und Rüstungswahn­sinn .. .

FURCHE: Immer mehr Unterneh­mensinsolvenzen können nicht allein auf Managementfehler zurückzuführen sein. Warum das alles jetzt so gehäuft?

FISCHER: Mit ökonomischer Kri­se habe ich mehr die schreckliche Si­tuation in England und die Jugendar­beitslosigkeit auch in anderen Län­dern gemeint. Bei uns ist die Lage oh­nehin noch relativ günstig. Die Insol­venzen führen die einen auf die Regie­rungspolitik und die anderen auf das schlechte Management im einzelnen zurück. Ich würde sagen: Wie einen härteren Winter mehr schwächere Tiere nicht durchstehen, so können auch Managementfehler in Konjunk­turzeiten besser als in einer Krise kor­rigiert werden!

FURCHE: Sie reden von der Wirt­schaft wie vom Wetter. Ist Wirtschafts­politik ein Naturereignis?

FISCHER: Sicher wird Wirtschaft von Menschen gemacht. Aber der ein­zelne muß ebenso wie Staaten von vorgefundenen, nicht beeinflußbaren Bedingungen ausgehen - Steigen der Energiepreise, des Zinsniveaus, der Dollarkurse . ..

FURCHE: Die Endpreise der Öl­produkte könnte eine Regierung sehr wohl beeinflussen, wenn sie darauf ver­zichtete, zugleich mit den Ölgesell­schaften auch dem Finanzminister in die Taschen zu arbeiten, der schon über die Hälfte der Benzinverbraucherpreise kassiert!

FISCHER: Das hieße, die Budget­situation noch schwieriger zu machen. Ich halte das nicht für richtig.

FURCHE: Zu den frustrierendsten

Erlebnissen vor allem junger Menschen gehört die Erfahrung, daß die Welthun­gerfrage nicht gelöst wird. Wie die So­ziale Frage des 19. Jahrhunderts glaubt man, auch diese mit milden Gaben statt Strukturänderungen lösen zu können. Warum verhalten sich Österreichs Re­gierungsvertreter etwa - bei Welthan­delskonferenzen genau so egoistisch wie die aller anderen Industriestaaten?

FISCHER: Ich fürchte, aus Ein­sicht wird sich hier genauso wenig än­dern wie im 19. Jahrhundert, nur un­ter wachsendem Qruck der Dritten Welt.

FURCHE: Also hatte Marx recht, als er sagte, nicht die einzelnen Kapita­listen seien am Unrecht schuld, sondern das System?

FISCHER: Das ist die Summe der Erfahrungen jenes Zeitraumes, den ich überblicken kann.

FURCHE: Ist die neuerliche Kern­kraftwerksdebatte ohne neue Argu­mente zu verantworten?

FISCHER: Ja, insofern sie sich im Rahmen fairer Bedingungen bewegen: mindestens Zweidrittelmehrheit im Parlament und neue Volksabstim­mung. Innerhalb solcher Spielregeln muß eine Diskussion erlaubt sein.

FURCHE: Was halten Sie persön­lich von dem Argument, daß es unmora­lisch ist, die lebensbedrohende Frage der Endlagerung von A tommüll einfach auszuklammern und ihre Lösung künf­tigen Generationen aufzubürden?

FISCHER: Es ist viel unmorali­scher, Neutronenbomben zu bauen und Europa mit Atomraketen vollzu­stopfen, deren Endlagerung auch nicht gelöst ist.

FURCHE: Aber Österreich könnte das eine beeinflussen, das andere nicht.

FISCHER: Darum sind wir ja so vorsichtig mit Zwentendorf. Und daß einige hundert österreichischer Uni­versitätsprofessoren kürzlich vor dem Wahnsinn eines Atomkrieges warn­ten, halte ich auch für sehr wichtig.

FURCHE: Aber niemand hat etwas getan, um ihr Anliegen bekanntzuma­chen. Man hat nicht einmal erfahren, wie der Bundeskanzler auf das ihm übergebene Memorandum reagiert hat.

FISCHER: Das ist vielleicht wirk­lich ein Fehler, daß wir zwar darüber diskutieren, ob wir die fünfte Ur­laubswoche 1983 oder 1984 einführen, aber zuwenig darüber, ob es diesen Kontinent 1990 überhaupt noch un­verwüstet geben wird.

FURCHE: Was halten Sie von der Frage, ob Wahlversprechen - etwa die Steuerbegünstigung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld - eingehalten werden müssen?

FISCHER: Ich halte die diesbezüg­lichen Aussagen von Finanzminister Salcher für ein vorbildliches Beispiel eines geradlinigen Politikers. In Erin­nerung zu rufen ist freilich, daß im Wahlkampf 1979 vom Finanzministe­rium fragwürdige Steuerprivilegien zur Diskussion gestellt wurden, wor­auf die Opposition uns vorwarf, wir planten den vollen Zugriff des Staates auf den 13. und 14. Monatsbezug. Das haben wir ausgeschlossen.

FURCHE: Heißt das, Sie hätten nur die Nicht- Vollbesteuerung verspro­chen?

FISCHER: Die Österreicher haben das damals sicher so verstanden, daß das Urlaubsgeld weiterhin steuerlich begünstigt bleibt. Und mit Recht. Aber über Änderungen des Steuersat­zes oder der Einkommenshöhe zu re­den, liegt wohl im Gestaltungsspiel­raum, der dem Politiker innerhalb ei­ner Legislaturperiode verbleiben muß. Inkonsequent sind da auch jene Poli­tiker, die einerseits „Sparen“ und „Gürtel-enger-Schnallen“ predigen und gleichzeitig die Forderung nach „Belastungsstopp“ wie eine Hostie vor sich hertragen, als ob das Gürtel- enger-Schnallen nicht zu definieren ei­ne Belastung wäre!

FURCHE: Können Sie sich vorstel­len, daß der bevorstehende heiße politi­sche Herbst eine solche Zuspitzung der Lage bringt, daß die Regierung sagt: So können wir nicht Weiterarbeiten, da muß vorzeitig gewählt werden!?

FISCHER: Nein, kann ich nicht. Denn zum Streiten gehören minde­stens zwei, und wir werden arbeiten und nicht streiten.

Mit dem geschäftsführenden Klubobmann der SPÖ sprach Hubert Feichtlbauer

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