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Servus, Herr Kollege
Die Soziologen, jene Wissenschaftler, die gemeinsam mit den Meteorologen stets a\if der Brücke zwischen dem Alles- vmd dem Nichtswissen stehen, sagen, daß es keine lange Lebenszeit mehr haben wird. Es ist, sagensie, ein veraltetes, unnötige Barrieren errichtendes, aussterbendes Wort samt dessen Begriffs- und Mentalitätsumwelt. Sie meinen das persönhche Fürwort Sie.Und tatsächhch deutet manches auf dessen Hinfälhgkeit hin. Partei-und Gesinnungsfreimde bedienen sich, wenigstens ziun Zeitpunkt ihrer ideologischen Zusammenrottung, nicht des Sie-Wortes. Lehrer und Schüler sindmerkwürdigerwei-se ebenfalls im Begriff,’ dem Sie abzuschwören, was wohl eine Demonstration von Demokratie ist (oder sein soll), xmd die Autofahrer sind längst dazu übergegangen, sich im vertrauhchen Dialog ihre Mei-inung übereinander ohne das hinderliche Sie mitzuteilen. Eben da jedoch möchte ich dem Worte Sie beziehungsweise dem Sie-Wort angesichts seines Hinsiechens einen vielleicht und hoffentlich voreiligen Nachruf widmen.
Es ist gar nicht so sehr die häufig geäußerte Meinung, man tue sich beim Anbieten eines gewissen Goethe-Zitats per Sie schwerer. Denn im Original Hest man den gern gesprochenen Satz wohlgemerkt in der dritten Person, die in jener Form -“er aber“ - längst der Vergangenheit angehört. Vielmehr ist’s der so vielen Sprachen mangelnde Unterschied zwischen dem angenehme Distanz schaffenden Sie und dem ebenso angenehme Nähe erzeugenden Du.
Und was die eingangs erwähnten Soziologen als so verwerfUch klassifizieren, nämUch die Schaffung zweier Beziehungsarten, einer nut und einer ohne Abstand der Menschen voneinander, gerade das finde ich voll von imbeschreibUchem Reiz. Niemandem sei’s verwehrt, diese Grenze zu überschreiten: meist tut sich das vom Feme zimi Nahe (Mutige gehen bisweilen auch den anderen Weg). Aber zumal in der Aimäherung hat es nur mit Einverständnis beider zu geschehen. Dessen imgefragte Voraussetzxig ist plumpe Drängerei. Der Zauber des vonzweien bejahten Üb ergangsaber mxiß nicht erst beschrieben werden.
Freundschaft und Liebe finden da ihre massiven Fundamente.
Auf die Gefahr, daß Tausende Theologen mit ebenso vielen Argumenten über mich herfallen, gebe ich darum meiner Verwunderung Ausdruck, daß wir allesamt imseren Schöpfer in Glück und Not ohne Vorbehalt zu duzen pflegen, als ob wir mit ihm schon längst ein Glas gehoben hätten.
DergefährhchenBehauptung, daß alle Menschen Brüder seien (also selbstverständhch und verdienstlos miteinander Bruderschaft getr\m-ken haben) - die Sprachregulierung hat sich bis hierhör der weibüchen Emanzipierung vielleicht schlauerweise verschlossen - karm ich ebenfalls nichts abgewirmen, solange der Bmder mir, egal ob per Sie oder per Du, Geld, Job, Zeit oder Leben zu nehmen befugt ist. Was also soll die Nivellierung auf ein allgemeines, ohne Aviszeichnung erworbenes Du an NützUchem bringen?
Das einzige, ich gebe es zu, was wirkUch per du leichter, ja überhaupt nur in dieser Form auszusprechen mögUch ist, ist die mit dem erhobenen Zeigefingereinhergehen-de Drohung “Dudu“. Aber die nehmen heutzutage nicht einmal mehr die Kinder emst.
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