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Skepsis der Jugend gesunde Reaktion
FURCHE: Halten Sie, Herr Kardinal, unser heutiges gesellschaftliches System noch für wert, gegebenenfalls mit Leib und Leben verteidigt zu werden?
KARDINAL KÖNIG: Der Zweifel, der in dem Wort „noch“ steckt, scheint mir bezeichnend für die ganze Diskussion zu sein. Es suggeriert einen Niedergang unserer gesellschaftlichen Ordnung und zielt auf eine Wendemarke, nach der es nicht mehr wert sei, eine Ordnung zu verteidigen. Das Wort „noch“ ist ein Eingeständnis, daß wir im Begriff sind, abzuwirtschaften und daß ein Wechsel fällig ist. Nun ist jede gesellschaftliche Ordnung in einem gewissen Ausmaß auch eine gesellschaftliche Unordnung. Nicht bloß die Kirche, auch die Gesellschaft ist „semper refor- manda“. Die Frage ist nur, ob in unserem Gesellschaftssystem die Unordnung, die Mißordnung so groß ist, daß eine Reform unmöglich und sinnlos erscheint. Dieser Meinung bin ich aber nicht. Ich
meine nicht, daß wir aufgeben sollten, weil uns einiges nicht paßt, daß wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten sollen, statt für frisches Badewasser zu sorgen. Die Möglichkeit, dies tun zu können, muß ich im Notfall auch verteidigen.
FURCHE: Was zeichnet dieses System, das man in einer Kurzformel als „parlamentarische Demokratie mit sozialer Marktwirtschaft" bezeichnen könnte, gegenüber anderen Systemen aus?
KÖNIG: Das, was meiner Meinung nach unser System kennzeichnet - von auszeichnen will ich nicht reden -, ist nicht ein Mehr oder Weniger an Demokratie oder an sozialer Gerechtigkeit (auch darüber kann man geteilter Meinung sein), sondern einzig und allein die Tatsache, daß es kein geschlossenes System ist, sondern stets offen für Veränderung.
Nur in dem Maß, in dem es die Notwendigkeit von Veränderungen einsieht und dafür auch offen ist, erscheint mir dieses System besser als andere, die glauben, schon so perfekt zu sein, daß sie sich nicht mehr ändern müßten. Das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt. Und wer das Paradies auf Erden verspricht, hat immer nur die Hölle gebracht.
FURCHE: Warum, glauben Sie, wachsen Unbehagen, Mißmut und teilweise offene Überdrüssigkeit so rasch und so stark?
KÖNIG: Möglicherweise sind / die menschliche Seele und der menschliche Geist nicht dafür geschaffen, so rasche Veränderungen, wie wir sie jetzt erleben, zu bewältigen. Man reagiert darauf mit Unbehagen, Mißmut und Überdruß. Vor zwei Generationen haben die Menschen - auch in unseren Breiten - um ihr materielles Dasein gekämpft, vor einer Generation noch ums nackte Überleben. Wir sind zu rasch satt geworden und zu sicher. Wir sind in dem neuen Wohlstand noch gar nicht ganz daheim, und schon ziehen neue Wolken auf.
FURCHE: Warum blicken Ihrer Meinung nach so viele junge Menschen heute mit so viel Skepsis, ja offen zur Schau getragenem Pessimismus in die Zukunft, obwohl man gerade von ihnen Optimismus und Reformeifer erwarten müßte?
KÖNIG: Die jetzt tragende und bald abtretende Generation zeigt Unbehagen, weil sie sich des Erreichten nicht ganz sicher wähnt.
Die Jugend, weil sie der Sattheit überdrüssig ist. Eine Jugend, von der nichts verlangt wird, sondern der man alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen versucht, eine Jugend, die nicht mehr gefordert wird, sondern nur mehr gefördert, der man ein möglichst bequemes Bett bereiten will, legt sich nicht ins Bett, will nicht auf der breiten Straße zum Erfolg gehen. Gott sei Dank, müssen wir sagen! Ich halte die Skepsis der Jugend der Wohlstandsgesellschaft gegenüber für eine gesunde Reaktion.
FURCHE: Was mögen die Ursachen dafür sein, daß gerade in den Kreisen der Katholischen Jugend der Widerstand gegen eine bewaffnete Landesverteidigung zunimmt?
KÖNIG: So allgemein möchte ich das gar nicht sagen. Man darf katholische Jugend nicht gleichsetzen mit den Sekretariaten einiger Verbände. Es gibt sicherlich auch weite Kreise katholischer Jugendlicher, die gar nicht so negativ zur Landesverteidigung stehen. Aber
auch in der kritischen Einstellung mancher katholischer Jugendlicher zum bewaffneten Widerstand gegen einen Angreifer - und das ist ja die österreichischeLandesverteidigung- möchte ich mehr sehen als nur eine Anlehnung an die Phraseologie linker Jugendgruppen. Dahinter steht die Vorstellung, daß gerade ein kleines Land und ein kleines Volk aus dem Teufelskreis des Rüstungswahnsinns ausbrechen muß, daß ein Christ nicht für den Streit, sondern für die Versöhnung, nicht für den Kampf, sondern für den Frieden eintreten muß, daß für den Christen der Bereich des Schätzenswerten und auch Verteidigunswerten die ganze Menschheit und nicht nur das eigene Vaterland umfaßt. Das ist ein richtiger Schluß. Aber mir scheint es, ein verkürzter, um nicht zu sagen: ein Kurzschluß zu sein. Die Menschheit zu lieben, ist bekanntlich viel leichter, als einen einzelnen konkreten Menschen zu lieben. Für die Menschheit einzutreten, ist risikoloser als für die eigene Familie, das eigene Volk und das eigene Land. Aber der Friede hängt nicht in den Wolken. Er beginnt im eigenen Haus.
FURCHE: Hätte nicht auch die Kirche die Möglichkeit, die Fähigkeit, ja die Verpflichtung, die junge Generation auf die Vorzüge unseres Systems hinzuweisen, sie aber gleichzeitig auch zur Veränderungsund Erneuerungsbereitschaft aufzurufen, statt ihrem zunehmenden A uszug aus der Politik, tatenlos zuzusehen?
KÖNIG: Diese Frage ist nicht mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten. Die Kirche muß in jedem System leben. Aber sie muß sich nicht mit jedem System identifizieren. Es ist nicht primär ihre Aufgabe als Kirche, gesellschaftliche Systeme anzupreisen oder anzugreifen. Sie wehrt sich dagegen, im Osten als Stütze der Staatsideologie mißbraucht zu werden. Auch hier bei uns ist es nicht ihre Aufgabe, für die Landesverteidigung eine „religiöse Ideologie“ zu liefern.
Wohl aber kann sie und soll sie immer darauf hin weisen, daß mit einer politischen Abstinenz nichts getan ist. Wenn ich nicht selbst mitbe- stimme, kann ich mich nicht beklagen, wenn andere über mich bestimmen.
Mit Kardinal Franz König sprach Hubert Feichtlbauer.
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