6909038-1981_02_04.jpg
Digital In Arbeit

Skepsis der Jugend gesunde Reaktion

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Halten Sie, Herr Kardinal, unser heutiges gesell­schaftliches System noch für wert, gegebenenfalls mit Leib und Leben verteidigt zu werden?

KARDINAL KÖNIG: Der Zweifel, der in dem Wort „noch“ steckt, scheint mir bezeichnend für die ganze Diskussion zu sein. Es suggeriert einen Niedergang unse­rer gesellschaftlichen Ordnung und zielt auf eine Wendemarke, nach der es nicht mehr wert sei, eine Ord­nung zu verteidigen. Das Wort „noch“ ist ein Eingeständnis, daß wir im Begriff sind, abzuwirtschaf­ten und daß ein Wechsel fällig ist. Nun ist jede gesellschaftliche Ord­nung in einem gewissen Ausmaß auch eine gesellschaftliche Unord­nung. Nicht bloß die Kirche, auch die Gesellschaft ist „semper refor- manda“. Die Frage ist nur, ob in un­serem Gesellschaftssystem die Unordnung, die Mißordnung so groß ist, daß eine Reform unmög­lich und sinnlos erscheint. Dieser Meinung bin ich aber nicht. Ich

meine nicht, daß wir aufgeben soll­ten, weil uns einiges nicht paßt, daß wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten sollen, statt für frisches Badewasser zu sorgen. Die Mög­lichkeit, dies tun zu können, muß ich im Notfall auch verteidigen.

FURCHE: Was zeichnet dieses System, das man in einer Kurzfor­mel als „parlamentarische Demo­kratie mit sozialer Marktwirt­schaft" bezeichnen könnte, gegen­über anderen Systemen aus?

KÖNIG: Das, was meiner Mei­nung nach unser System kenn­zeichnet - von auszeichnen will ich nicht reden -, ist nicht ein Mehr oder Weniger an Demokratie oder an so­zialer Gerechtigkeit (auch darüber kann man geteilter Meinung sein), sondern einzig und allein die Tatsa­che, daß es kein geschlossenes Sy­stem ist, sondern stets offen für Ver­änderung.

Nur in dem Maß, in dem es die Notwendigkeit von Veränderungen einsieht und dafür auch offen ist, er­scheint mir dieses System besser als andere, die glauben, schon so per­fekt zu sein, daß sie sich nicht mehr ändern müßten. Das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt. Und wer das Paradies auf Erden verspricht, hat immer nur die Hölle gebracht.

FURCHE: Warum, glauben Sie, wachsen Unbehagen, Mißmut und teilweise offene Überdrüssigkeit so rasch und so stark?

KÖNIG: Möglicherweise sind / die menschliche Seele und der menschliche Geist nicht dafür ge­schaffen, so rasche Veränderungen, wie wir sie jetzt erleben, zu bewälti­gen. Man reagiert darauf mit Unbe­hagen, Mißmut und Überdruß. Vor zwei Generationen haben die Men­schen - auch in unseren Breiten - um ihr materielles Dasein ge­kämpft, vor einer Generation noch ums nackte Überleben. Wir sind zu rasch satt geworden und zu sicher. Wir sind in dem neuen Wohlstand noch gar nicht ganz daheim, und schon ziehen neue Wolken auf.

FURCHE: Warum blicken Ihrer Meinung nach so viele junge Men­schen heute mit so viel Skepsis, ja offen zur Schau getragenem Pessi­mismus in die Zukunft, obwohl man gerade von ihnen Optimismus und Reformeifer erwarten müßte?

KÖNIG: Die jetzt tragende und bald abtretende Generation zeigt Unbehagen, weil sie sich des Er­reichten nicht ganz sicher wähnt.

Die Jugend, weil sie der Sattheit überdrüssig ist. Eine Jugend, von der nichts verlangt wird, sondern der man alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen versucht, eine Jugend, die nicht mehr gefordert wird, sondern nur mehr gefördert, der man ein möglichst bequemes Bett bereiten will, legt sich nicht ins Bett, will nicht auf der breiten Stra­ße zum Erfolg gehen. Gott sei Dank, müssen wir sagen! Ich halte die Skepsis der Jugend der Wohl­standsgesellschaft gegenüber für eine gesunde Reaktion.

FURCHE: Was mögen die Ursa­chen dafür sein, daß gerade in den Kreisen der Katholischen Jugend der Widerstand gegen eine bewaff­nete Landesverteidigung zunimmt?

KÖNIG: So allgemein möchte ich das gar nicht sagen. Man darf katholische Jugend nicht gleichset­zen mit den Sekretariaten einiger Verbände. Es gibt sicherlich auch weite Kreise katholischer Jugendli­cher, die gar nicht so negativ zur Landesverteidigung stehen. Aber

auch in der kritischen Einstellung mancher katholischer Jugendlicher zum bewaffneten Widerstand gegen einen Angreifer - und das ist ja die österreichischeLandesverteidigung- möchte ich mehr sehen als nur eine Anlehnung an die Phraseologie lin­ker Jugendgruppen. Dahinter steht die Vorstellung, daß gerade ein klei­nes Land und ein kleines Volk aus dem Teufelskreis des Rüstungs­wahnsinns ausbrechen muß, daß ein Christ nicht für den Streit, sondern für die Versöhnung, nicht für den Kampf, sondern für den Frieden eintreten muß, daß für den Christen der Bereich des Schätzenswerten und auch Verteidigunswerten die ganze Menschheit und nicht nur das eigene Vaterland umfaßt. Das ist ein richtiger Schluß. Aber mir scheint es, ein verkürzter, um nicht zu sagen: ein Kurzschluß zu sein. Die Menschheit zu lieben, ist be­kanntlich viel leichter, als einen ein­zelnen konkreten Menschen zu lie­ben. Für die Menschheit einzutre­ten, ist risikoloser als für die eigene Familie, das eigene Volk und das ei­gene Land. Aber der Friede hängt nicht in den Wolken. Er beginnt im eigenen Haus.

FURCHE: Hätte nicht auch die Kirche die Möglichkeit, die Fähig­keit, ja die Verpflichtung, die junge Generation auf die Vorzüge unseres Systems hinzuweisen, sie aber gleichzeitig auch zur Veränderungs­und Erneuerungsbereitschaft aufzu­rufen, statt ihrem zunehmenden A uszug aus der Politik, tatenlos zu­zusehen?

KÖNIG: Diese Frage ist nicht mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten. Die Kirche muß in jedem System leben. Aber sie muß sich nicht mit jedem System identi­fizieren. Es ist nicht primär ihre Aufgabe als Kirche, gesellschaftli­che Systeme anzupreisen oder anzu­greifen. Sie wehrt sich dagegen, im Osten als Stütze der Staatsideologie mißbraucht zu werden. Auch hier bei uns ist es nicht ihre Aufgabe, für die Landesverteidigung eine „reli­giöse Ideologie“ zu liefern.

Wohl aber kann sie und soll sie immer darauf hin weisen, daß mit ei­ner politischen Abstinenz nichts ge­tan ist. Wenn ich nicht selbst mitbe- stimme, kann ich mich nicht bekla­gen, wenn andere über mich bestim­men.

Mit Kardinal Franz König sprach Hubert Feichtlbauer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung