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Sollen wir jetzt alle arm werden?

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Rubinroter Samt bei Lucas Cra-nach, leuchtend blauer bei Stephan Lochner, stutzerhafter Prunk bei Raffael - nur das Kind ist bei allen drei nackend, nur der Wind kann ungehindert durch Dach und Wand des gebrechlichen Hauses aus- und eingehen.

Merkwürdig ist dieser Gegensatz bei fast allen großen Malern hin zum 19. Jahrhundert. Mit der Armut des Kindes konnten sie allesamt nichts anfangen. So wurden sie zu Vorläufern des modernen Weihnachtsfestes, bei dem das Kind in der Krippe ein entbehrliches Versatzstück inmitten überbordender Requisitenpracht ist.

Die Liederdichter der Kirche hatten ein besseres Gespür. „Er ist auf Erden kommen arm, daß er unser sich erbarm"'. So dichtete Martin Luther 1524 in einem seiner schönsten Weihnachtslieder, nicht ohne vorher schon Sinn und Ziel dieser Armut angezeigt zu haben: „in unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut'".

Wir sind Menschen in Not, denen der Retter gesandt wird. Die tiefste Not ist die Sünde, welche uns von Gott trennt. Ihre Zeichen sind Krieg, Hunger, Verfolgung, Obdachlosigkeit. Diese Zeichen, sagen die Weihnachtslieder, trägt das Kind freiwillig an seinem Leibe, offenbart seine Solidarität mit uns, in der Geburt, im Leben, Leiden und Sterben.

Die adventliche und weihnachtliche Hoffnung hieß daher: „all unsre Not zum End' er bringt".

Nicht die Armut wurde gepriesen, sondern das Kind, das sich mit ihr, wie allen anderen Zeichen der Unbehaustheit, uns gleichzeitig macht. Nicht die Sünde wird gepriesen, sondern deren Aufhören und Uberwindung. Beiden begegnet die Armut des Kindes, als sei sie der größte Reichtum: „Er wird ein Knecht und ich ein Herr - das mag ein Wechsel sein!"

Nirgends also, weder bei Malern noch bei Dichtern, finden wir einen sentimentalen Lobgesang auf die Armut um ihrer selbst willen - sei es die des Kindes, sei es die eigene. Das Kind verkleidet sich in sie - wir Menschen tragen schwer an ihr, wie an allen anderen Folgen der Sünde.

Gerade dies scheint in unseren Tagen nun von gesteigerter Aktualität zu sein. Weihnachten ist der rechte Augenblick, um davon zu sprechen. Denn unter deutlicher Berufung auf den armen Christus beginnen die Kirchen, unter der Hand die Solidarität mit den Armen in einen Lobgesang der Armen umzudeuten. Wohlhabend und reich, gar sein, wird folgerichtig zum Kennzeichen des Unglaubens.

Niemand liebt die Armut. Schon die Armut des Kindes in der Krippe konnten die Maler, wie wir sahen, nur ertragen, wenn sie ihr die Zeichen des Wohlstands zur Seite stellten. Gewiß, nur die wenigsten Menschen haben zur Zeit von Lochner, Cranach und Raffael sich solche Gewänder leisten können, welche die Künstler liebevoll ins Bild brachten.

Weihnachten ist kein Lobgesang auf die Armut, sondern auf den Reichtum Gottes, der „in niedrigen Gebärden" uns angeboten wird. Daß die Reichen es mit dem eigentlichen Reichtum, dem Reich Gottes, schwerer haben als die Armen, 'aß der arme Mann in Abrahams Schoß und der Reiche in der Hölle landet, daß die „im Geist Armen" in der Bergpredigt selig gepriesen werden - das gehört als Warnung freilich dazu, begründet aber keinen Lobgesang der Armut.

Nichts ist damit erreicht, daß wir alle arm werden, vielen aber damit, daß wir uns den Reichtum Gottes schenken lassen. Und daß wir dann aus der Lichtfülle unserer Weihnachten mit diesem Reichtum entschlossen zu allen hingehen, Reichen wie Armen, und mit ihnen zu teilen beginnen - unsere Sorgen, Hoffnungen und unsere materiellen Güter.

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