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Unterwegs zu Elisabeth

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Nach dem Kirchenaustritt will Elisabeth, eine Studentin der Theaterwissenschaft, auch ihren Vornamen ändern. Ihr Vater über­redet sie, vorerst die zeitgenössi­schen Berichte über ihre Namens­patronin zu lesen. Dabei entdeckt die moderne „Aussteigerin" in der mittelalterlichen Heiligen einige verwandte Züge. Der Vater antwor­tet auf ihre eigenwillige Darstel­lung von Elisabeths Vita.

Daß Du ihrem Charakterbild durch die Verneinung der Kirche Tiefenschärfe zu geben ver­meinst, überzeugt mich nicht. Gewiß wurden 1219 die ersten Brüder des heiligen Franz, als sie nach Deutschland kamen, von ei­ner angeblich christlichen Welt verlacht. In der Lebensbeschrei­bung der Landgräfin aus der Hand ihres Zeitgenossen ist viel die Rede vom Nasenputzen, von der körper­lichen Notdurft, von der Leibschüs-sel für Behinderte, für Krüppel und Idioten. Und sie selber, die Land­gräfin, ist keineswegs die souverä­ne Organisatorin, die strahlende Wundertäterin, in deren Händen die Dinge, inspiriert von göttlicher Gegenwart, wie von selber zusam­menfinden und sich dem Herrn der Welt und seiner Dienerin gehorsam erweisen. Sie selber hat Züge der Behinderten und des Ungeschicks. Sie kann nicht, was nottut - weder mit der Nadel noch mit dem Spinn­rocken noch mit dem Küchentopf. Hier öffnet sich ein Spalt zum Ge­heimnis der Armut, in dem wir alle, jeder in seiner Weise behindert, leben und leiden. Zumeist aber ohne es uns selber, geschweige denn anderen einzugestehen.

Es war ein langer Weg von der Verheißung in der Bergpredigt an die Armen im Geist bis zur Erfül­lung dieser Verheißung durch Franz und Elisabeth. Sie sind die Apostel der Armen. Franz sagte voraus, was ein Jahrtausend lang die Geschicke der Völker bestimmen würde: Demütigung und Hochmut, deren Ursache das Geld ist. Wie von der Demütigung durch das Geld zur Demut des Herzens finden?

Die vielbesprochene Bewußt­seinserweiterung begänne nämlich damit, einzubekennen, wie eng und armselig unser isoliertes Bewußt­sein ist und bleibt, wenn es nicht die Brücke zum Du schlägt. Es gehört zum Urerlebnis der Armut, daß es just die tiefsten Erniedri­gungen körperlichen Elends sind, die uns in die Grenzenlosigkeit der Anforderung gegenüber dem Du führen: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder, das habt ihr mir getan." Zum kosmischen Gott des Lichtes und der Sterne gesellt sich das Du des kranken Nachbarn in Matthias Claudius' „Abendlied". Die Armut ist der Königsweg zum Du Gottes. Deshalb ist ihn eine Königstochter in Fetzen und Lum­pen gegangen. Einmal, so erzählt der Zeitgenosse, rempelte sie ein Bettelweib von einem Holzsteg hinab in den Kot, denn die land­gräfliche Armut galt diesem als Verrat an der fürstlichen Sendung. Spekulationen sind kein Ersatz für die Armutstat. Aber wozu schreib ich Dir das? Seitdem Du Dein Stu­dium als Krankenschwester mitfi­nanzierst, erlebst Du sicher mehr an diesen Dingen als ich.

Mein liebes Kind, Dein eigenwil­liger Bericht hat mir viel Neues gezeigt, viel Altes unterschlagen. Bei Dir fehlt - „natürlich", sage ich- das „Übernatürliche" der Legen­denbildung und des Glaubens. Berührt hat mich, was Du über das Nicht-Geschehen geschrieben hast, über die Möglichkeiten, die in der Luft hängen geblieben sind, wie etwa die Ehe zwischen Friedrich, dem sogenannten Antichristen, und der Heiligen, zwischen dem Kaiser und der Bettlerin. Die Legende aber läßt nicht locker, dem Möglich-Gewesenen, zur Unmöglichkeit Gewordenen, doch noch einen Be­reich zu erschließen, wo das Mög-lich-Gewesene seinem inneren Gehalt nach einen Platz zugewie­sen bekommt. Wie hier in der Ge­schichte von Elisabeths Knochen in der Krone des Kaisers. Die Wis­senschaft und die Skepsis des Kai­sers werden in der Krone überhöht durch das Glaubenszeugnis der sich Opfernden. Vielleicht ist alles bis­her noch nicht Geschehene jene Nabe, jener Hohlraum, demzufolge sich die Erde weiterdreht.

Aber da gibt es ein „Wunder" für Kinder, für arme Kinder, das für mich auch das Wunder der Armut heißen könnte. Auf holpriger Stra­ße reitet Elisabeth zur Weihnachts

zeit in ein fernes Dorf und hält den Sack umklammert, in dem Spiel­zeugsachen für die Kinder verwahrt sind. Seit Jahrtausenden und in allen Regionen immer dieselben Pferdchen und Öchslein aus billi­gem Ton, auch Töpfchen und Pup­pen. Sind die Finger klamm gewor­den oder ist es die Ungeschicklich­keit des ehemals quirligen Mäd­chens, das die Landgräfin noch immer nicht ganz überwunden hat? Plötzlich rutscht der Sack hinun­ter. Des Pferdes Hufe treten dar­auf, es klirrt und klappert gewaltig. Die Weihnachtsfreude der armen Kinder liegt in Scherben. Wehmü­tig öffnet Elisabeth den Sack. Viel­leicht ist das eine oder andere Stück doch noch ganz geblieben. Elisa­beth weint nur selten. Doch wenn sie wie jetzt weint, rinnen ihre Augen und wollen nicht mehr auf­hören zu rinnen. Ist es der verschlei­erte Blick, der sie so täuscht? Nein, alle diese kleinen Dingerchen aus Ton haben den Sturz überstanden.

Das Heilbleiben auch noch des Nichtigen, das ist es, was mich zu Elisabeth hinzieht. Sie bewirkt das Wunder nicht, es geschieht ihr. Mögen auch Dir, meiner lieben Elisabeth, solche Wunder gesche­hen.

Aus dem Buch „Gestalten der Liebe - Zehn erdachte Briefwechsel und zwei literarische Porträts", das demnächst im Niederösterreichi-schen Pressehaus, St. Pölten, erscheinen wird.

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