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Zum Geleit

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Wir kennen das Wort des Herrn „Arme werdet ihr immer unter euch haben“. An diesem Wort haben sich manche gestoßen, an seiner Aussage, die wie eine Resignation anmutet. Vielen aber war es auch wie eine Bestätigung für das, was sie sich selber unter der Botschaft Christi vorstellten. Auf dieses Herrenwort haben sich jene berufen, die die sozialen Unterschiede als etwas Unabänderliches, als etwas Gottgewolltes hinstellten, das heißt, wer arm ist, immer arm bleiben soll; denn Christus selbst habe ja gesagt, daß es immer Arme geben werde. Und andere wiederum wollten aus diesem Wort nachweisen, daß die Kirche gar kein Interesse habe, Armut, Not und Elend auf dieser Welt zu beseitigen. Wir sehen dieses Wort Jesu heute anders. Wir wissen, daß mit der Beseitigung der materiellen Not die Armut nicht verschwunden ist. So gibt es auch heute bei uns zwar vielleicht weniger materielles Elend, aber gewiß nicht weniger Armut, denn die Armut, das ist ja nicht nur Mangel an materiellen Mitteln, so wie der Hunger nicht nur ein Hunger nach Brot ist. Auch wenn sich alle Menschen auf der Erde sattessen können, werden- das Leid, der Schmerz, die Einsamkeit, die Verlassenheit, das heißt die geistige Armut, nicht verschwunden sein.

„Arme werdet ihr immer unter euch haben“, das heißt auch, um diese Armen sollt ihr euch immer kümmern, für sie sollt ihr immer sorgen. Dieses Sorgen kann in seinen äußeren Formen wechseln, die Sorgepflicht bleibt bestehen. So können auch die Formen der Caritasarbeit wechseln, bestehen bleibt die Verpflichtung zur Hilfe aus Nächstenliebe.

Als vor 50 Jahren jene Caritasschule gegründet wurde, deren Jubiläum wir feiern, da war es die Aufgabe jener Schule, Frauen und Mädchen auszubilden, um sie in der Fürsorgearbeit einsetzen zu können. Diese Aufgabe ist in etwas umfassenderer Form auch heute noch dieselbe. Auch die Schule für gehobene Sozialberufe, wie ihr Titel heute heißt, bildet Menschen aus, die den Mitmenschen in ihrer sozialen Not helfen sollen. Die Situation, in der die soziale Not auftritt, hat sich gewandelt. Aus der materiellen Not ist eine Not des Herzens geworden. Aus dem Mangel an Nahrung ein Mangel an

Wärme, Geborgenheit und Verantwortung; aus der früheren Elendsverwahrlosung ist heute eine Wohlstandsverwahrlosung geworden. Die Opfer aber sind immer dieselben: Kinder, um die sich niemand kümmert, Frauen, die zusammenbrechen, alte Menschen, die in ihrer Einsamkeit erfrieren.

Die Schule für gehobene Sozialberufe ist eine Institution, die ihre Aufgaben den jeweiligen Umständen angepaßt zu erfüllen hat. Die Caritas, die hinter dieser Schule steht, sie materiell und geistig trägt, ist keine Institution, sondern ein Programm. Ihr Programm kann nur das Programm der Kirche sein und ihre Botschaft nur die Botschaft Christi: die Liebe und Sorge für den Nächsten um Christi willen. Seit Johannes XXIII. ist für viele Menschen — getauft und ungetauft, die früher taub waren für diese Botschaft, die sie überhörten im Lärm der Welt, die sie nicht sahen im Gestrüpp juristischer Konstruktionen — wieder deutlich geworden, daß die Liebe zum Nächsten ein Abbild der Liebe Gottes zum Menschen ist, die Gottesliebe, die sich als Liebe zum Mitmenschen offenbart. Die Liebe braucht, um wirksam zu sein, nicht den Anstoß der schweren materiellen Not. Sie sieht den Armen in jedem Mitmenschen, der leidet, einsam, verlassen ist, der hungert nach einem Wort des Verstehens, nach einer Geste des Entgegenkommens, nach einem Blick der Liebe. Wer immer in den vergangenen 50 Jahren durch diese Caritasschule gegangen ist, hat erfahren, daß es letztlich darauf ankommt. Ich danke sehr herzlich der Schule und allen ihren Absolventen für diese Arbeit und darf diesen Dank im Namen all derer, die diese Güte, Hilfsbereitschaft und Liebe empfangen haben, weitergeben. Arme werdet ihr immer unter euch haben, hat Christus gesagt. Er wird vielleicht auch dich einmal fragen: „Was hast du für sie getan?“

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