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Mehr als fünf Monate hat es gebraucht, mehr als 3500 Leben hat es gekostet. Das israelischägyptische Truppenen'tflechtungs-abkommen manövrierte die UdSSR an den Rand des Nahost-Geschehens. Und jeder machte einfach seine Rechnung ohne den Wirt, der damals auf ein syrischisraelisches Abkommen rechnete. Je stärker sich Ägypten Washington näherte, desto dornenvoller wurde Kissingers Weg nach Damaskus. Als Kissinger, der Erfolgreiche, damals seine Erfolglosigkeit erkannte, öffneten sich neue Möglichkeiten: Washingtons eigentlicher Verhandlungspartner wurde wieder Moskau. Nachdem zwischen dem dritten und dem zehnten Mai Washingtons Botschafter täglich im sowjetischen Außenministerium vorgesprochen hatte, wurden die Syrer langsam verhandlungsbereit. Noch einiges mußte geschehen. Ägypten bestellte wieder Waffen aus der UdSSR — mit den dazugehörenden Instruktoren. Und ein sowjetischer Vizeadmiral, der bis vor kurzem die Aufräuimearbeiten in Chittagong geleitet hatte, wurde mit der Leitung der Räumungsarbeiten auf dem Ostsektor des Suezkanals betraut. Dann erst war die Truppenentflechtungsentschlossenheit der Syrer so groß, daß nicht einmal die palästinensischen Terroristenakte und die israelischen Gegenschläge ins Gewicht fielen. Doch: fünf Monate hat es gedauert, 3500 Menschen haben mit ihrem Leben dafür bezahlt, daß Moskau im Nahen Osten wieder Washingtons ebenbürtiger Partner ist, im gemeinsamen Spiel, im Spiel gegeneinander. Der große Kissinger müßte ein Tagträumer gewesen sein, wenn er geglaubt hätte, den Frieden im Nahen Osten ohne Moskau zustande bringen zu können — jetzt da der Suezkanal vor der Wiedereröffnung steht.

Die Wiedereröffnung des Suezkanals ist in Reichweite. Höchstens drei Jahre der Säuberungsarbeiten, und die Fahrrinne ist offen. Das gibt allem Geschehen im östlichen Mlttelimeer und östlich des Suezkanals einen neuen Wert. Die beiden Supermächte bereiten sich vor. Der UdSSR geht es ums Ganze. Jetzt würde für Moskau ein taktischer Rückschlag in den östlichen Zonen ein strategischer Verlust sein. Denn endlich führt ein kurzer Seeweg zu Chinas Küsten. Sowohl das Streben nach Kompromissen als die Kämpfe um Einflußzonen werden ernster. Im Nahen Osten festigt man die politischen Vorwerke (wie in Syrien) und schafft sich Reservestellungen (wie in Libyen). In Indien lockt man Indira Gandhi durch Waffen-geschenke und setzt sie zugleich durch einen außerparlamentarischen Kampf unter Druck. In Pakistan versucht man, sich wirtschaftlich gegen die Übermacht des USA- und Chinaeinflusses durchzusetzen. In Bangladesch festigt man die Stellungen im Hafen von Chittagong. In Vietnam heizt man den Bürgerkrieg an und liefert Hanoi, wie den Viet-kong, die modernsten Waffen. Ist der Suezkanal gesäubert, sollen die östlichen Meere für Moskaus Direktverbindung nach China frei sein!

Unmittelbar nach dem Truppenentflechtungsabkommen Ägyptens mit Israel sprach ich in Teheran mit dem pakistanischen Sonderbotschafter Zaddikim aus Peschawar. Seinen Kommentar verstehe ich erst heute: „Jetzt weniger denn je zuvor kann die Sowjetunion einen Rückschlag in diesen Regionen hinnehmen. Sie braucht den Einfluß auf jedem Quadratmeter entlang der Küsten, östlich des Suezkanals — für die Zeit nach der Eröffnung des Suezkanals.“

Koste es was immer. Vor Kissinger wachsen die Aufgaben ins Unermeßliche.

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