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Der „jüdische Verräter“

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Das Stadtgericht von Sofia verurteilte kürzlich Henrich Natan Schpeter wegen Spionage zum Tod durch Erschießen. Schpeter ist 53 Jahre alt, bulgarischer Staatsbürger und ein namhafter jüdischer Wirtschaftsfachmann. Etliche Jahre arbeitete er im bulgarischen Außendienst auf verschiedenen Posten, so in Wien und in New York. Er soll nun während dieser Zeit für einen westlichen Nachrichtendienst gewonnen worden sein.

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Das Stadtgericht von Sofia verurteilte kürzlich Henrich Natan Schpeter wegen Spionage zum Tod durch Erschießen. Schpeter ist 53 Jahre alt, bulgarischer Staatsbürger und ein namhafter jüdischer Wirtschaftsfachmann. Etliche Jahre arbeitete er im bulgarischen Außendienst auf verschiedenen Posten, so in Wien und in New York. Er soll nun während dieser Zeit für einen westlichen Nachrichtendienst gewonnen worden sein.

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Nach bulgarischen Behauptungen hätte die Untersuchungsbehörde umfangreiches Beweismaterial gefunden, und Schpeter soll ein volles Geständnis abgelegt haben. Es ist noch nicht bekannt, da die Verhandlung geheim war, ob Schpeter gegen das Urteil apelliert hat. Ebensowenig ist bekannt, ob das Urteil bereits vollstreckt wurde.

Der verurteilte Wissenschaftler

war früher Mitarbeiter des Wift-schaftsinstituts an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften. Im Dezember 1961 nahm er an einem Seminar teil, das unter dem Motto „Stand des, Monopolkapitalismus“ von . seinem Institut veranstaltet wurde. Im März 1965 erschien er auf einer internationalen Konferenz, die in Leipzig für osteuropäische Fachleute einberufen worden war und

deren Thematik — ziemlich umständlich — lautete: „Das neue Wirtschaftssystem der Planung und des Managements in der Nationalökonomie und die Probleme in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden (dem kapitalistischen und sozialistischen) Weltsystemen“. Er publizierte auch eine große Anzahl von Studien und Artikeln, die sich vorwiegend eben mit den ost-west-lichen Wirtschaftsbeziehungen beschäftigten.

In Bulgarien war seit 1965 nichts mehr über ihn zu hören, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit und in den Massenmedien. Er war, wie erwähnt, zeitweilig bei den bulgarischen diplomatischen Vertretungen in New York und Wien eingeteilt Nach Informa-

tionen aus Sofia soll er mindestens einmal auch Israel besucht haben. Es war allerdings unmöglich, darüber eine offizielle Klarstellung zu erhalten. Jedenfalls wurde er während des Geheimprozesses als „jüdischer Verräter“ apostrophiert.

In den vergangenen zehn Jahren waren Todesurteile, ja überhaupt Prozesse sub titulo „Spionage“, in Bulgarien ziemlich selten. Hatten in den ersten 20 Jahren der Volksrepublik noch zahlreiche Spionageprozesse stattgefunden, so waren es in der letzten Dekade nur ihrer drei: die großen Spionageprozesse gegen Iwan Assen Georgieff (1963 bis 1964), gegen Radan Safaroff (1968 bis 1969) und gegen Iwan Petroff-Iwanoff (1969 bis 1970). Alle drei Angeklagten wurden zum Tode verurteilt. Während der gleichen Periode wurden außerdem mehrere bulgarische und ausländische Staatsbürger in weniger bedeutenden Verfahren zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Großaufnahme aus Moskau: Breschnew bietet, zur Unterzeichnung der Verträge, Nixon die sowjetische Füllfeder an. Sonst hatten sie einander wenig anzubieten: Verträge für den Austausch von Wissenschaft und Waren, Fixierung der atomaren Abwehrringe, auf einen je Supermacht, Verzicht auf unterirdische Atombombenversuche. Die Dürftigkeit der Ergebnisse dämpfte nicht das wachsende Gefühl der Kongenialität. Denn der Horror vor den Folgen eines unbegrenzten Wettrüstens verbindet die Kontrahenten. Doch leider; größer als der Horror vor einer vertragslosen Atomweltsituation ist noch die Furcht vor der Atom-superiorität des anderen.

Mit jedem Tag der Vertrags-losigkeit wuchert die Atomkriegswissenschaft ungezügelter. Die Möglichkeiten vertraglicher Begrenzungen werden fragwürdiger. Das große Einverständnis wird unwahrscheinlicher. Die Atomzeit arbeitet gegen die Überlebenshoffnungen. Vor einer Pressekonferenz formulierte Kissinger seine Verzweiflung: „Wenn bis 1977 (dem Ablauf der SALT-I-Verträge) kein Übereinkommen erzielt wird, kommt eine qualitative und quantitative Explosion von Technologie und Produktion des Atomarsenals. Wer, in Gottes Namen, wird dann noch von Atomsuperiorität sprechen können?“

Deshalb wurde in Moskau, angesichts der Ergebnislosigkeit der Verhandlungen der Geist der kontinuierlichen Verhandlungen beschworen. Nun werden Verhandlungsteams in Marathonkonferenzen das Unmögliche möglich zu machen suchen: die Überwindung des gegenseitigen Mißtrauens durch die gemeinsame Angst.

Heute haben die USA einen Vorsprung in der Entwicklung und in der Zahl der nuklearen Mehrkopfsprengkörper. Die UdSSR besitzt aber büffelhafte Trägerraketen, neben denen Amerikas Raketen eher schwach-brüstig erscheinen. Die UdSSR muß also den Gesamtzerstörungs-effekt des USA-Sprengkcrper-teppichs fürchten. Und die USA fürchtet die Kraft und die Wucht der sowjetischen Raketen nach einem Gleichziehen der Sprengkörperentwicklung. Fieberhaft arbeiten die USA an der Entwicklung von Raketen, die ihren Vorsprung an Sprengkörpertechnik erst zur Geltung bringen. Fieberhaft arbeitet die UdSSR an der Entwicklung von Sprengkörpern, die erst den Mammutraketen ihren Sinn verleihen.

Doch in den Kriegsministerien arbeiten gleichzeitig* die Realisten an einer neuen Strategie: die Strategie des begrenzten Atomkrieges — im Fall des Scheiterns von SALT II. Die Zielgeräte sollen verfeinert, die Zielpunkte neu gesetzt werden. Nicht mehr die Konzentrationspunkte von Industrie und Siedlung, sondern die feindlichen Atomarsenale werden anvisiert. Denn nicht die vollständige, sondern nur die partielle Zerstörung soll die Folge des ersten Schlages oder des Rückschlages sein. Es muß noch Menschen geben, die diplomatische Gespräche fortsetzen ...

Großaufnahme im Jahre X: Ein überlebender Parteisekretär aus der UdSSR und ein überlebender Senator aus den USA tauschen die Füllhalter aus ...

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