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Toren

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Der Umbruch im Osten setzt geistige Energien frei und läßt unkonventionelle Überlegungen aufkommen. Da fordert zum Beispiel der einstige Bundeskanzler Helmut Schmidt ein „für jedermann fühlbares Opfer“ von den Deutschen: eine Vermögensabgabe oder eine vorübergehende Erhöhung der Einkommen-, Lohn- und Körperschaftsteuer. Noch konkreter werden Kurt Biedenkopf und Georg Leber: Sie haben ausgerechnet, daß zehn Milliarden D-Mark zusammenkommen, wenn am 17. Juni nicht gefeiert, sondern gearbeitet wird. Dieser Beitrag sollte der DDR zur Verfügung gestellt werden...

Es wird jetzt viel von Geld geredet, und Geld ist natürlich sehr wichtig in dieser dramatischen Phase einer historischen Entwicklung. Wir hatten ja auch den Marshall-Plan, damals, als Österreich nach dem Krieg wiedererstand.

Es gab aber auch ein politisches Ethos damals, das heute ziemlich lädiert zu sein scheint. So berichtete zum Beispiel die Tochter des einstigen Wiener Vizebürgermeisters Lois Weinberger, eines Mitbegründers der ÖVP, ihr Vater habe ihr, als sie 1954 heiratete, keine Wohnung verschafft. Es sei überhaupt seine Maxime gewesen, alles zu vermeiden, was nach Privileg oder Ausnützung der Position aussah.

In den Staaten, deren Bürger sich jetzt von der Last des Kommunismus befreien, tauchenneue Töne auf. Vaclav Havel beendete eine Rede auf dem Prager Wenzelsplatz mit den Worten: „Die Wahrheit und die Liebe müssen die Lüge und den Haß besiegen.“ Ist dieses Neue nur die flüchtige Erscheinung einer Umwälzung, in der auch die Don Quijotes sich kurz zu Wort melden dürfen?

Fritz Molden schildert im zweiten Band seiner Erinnerungen („Besetzer, Toren, Biedermänner“), wie die Widerstandskämpfer nach 1945 von den „alten Hasen “ ausgeschaltet wurden. Molden und seinesgleichen mußten den Politikern weichen, die auch schon in der Ersten Republik eine Rolle gespielt hatten, den Praktikern, die von den Jungen als „Systempolitiker und Parteisekretäre“ abqualifiziert wurden. Im Rückblick schätzt Molden sich und seine Mitkämpfer als Toren ein. Sie waren politisch viel zu naiv, aber auch zu arrogant gegenüber den anderen, „die ja schon 1933, 1934 und 1938 alles falsch gemacht hatten und mit denen man sich nicht einmal an einen Tisch setzen wollte...“

Der Vorteil der Entwicklung im Osten ist, daß die dortigen „Systempolitiker“ moralisch völlig abgewirtschaftet haben. Der Weg wäre frei für einen neuen Politikertyp, der seine Arbeit unbefangener in Angriff nehmen kann, der das politische Geschäft so betreibt, als wäre es noch kein Geschäft.

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