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Trugschlüsse

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Der 29. September dürfte, so steht zu erwarten, nicht so rasch überwunden werden; die Ereignisse von Marchegg und Wien-Schwechat dürften bis auf weiteres zumindest das Interesse der Welt erwecken; wenn auch vieles dafür spricht, daß ein Teil der österreichischen Öffentlichkeit schon wieder bereit ist, die Folgen der Ereignisse zu verdrängen. Die Reaktion auf den Beschluß der Bundesregierung war von dieser vorhersehbar. Man weiß am Ballhausplatz, was für Israel und seine Existenz die jüdische Einwanderung bedeutet; und welche Rolle Juden in aller Welt dem Exodus aus der Sowjetunion beimessen.

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Der 29. September dürfte, so steht zu erwarten, nicht so rasch überwunden werden; die Ereignisse von Marchegg und Wien-Schwechat dürften bis auf weiteres zumindest das Interesse der Welt erwecken; wenn auch vieles dafür spricht, daß ein Teil der österreichischen Öffentlichkeit schon wieder bereit ist, die Folgen der Ereignisse zu verdrängen. Die Reaktion auf den Beschluß der Bundesregierung war von dieser vorhersehbar. Man weiß am Ballhausplatz, was für Israel und seine Existenz die jüdische Einwanderung bedeutet; und welche Rolle Juden in aller Welt dem Exodus aus der Sowjetunion beimessen.

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Zum ersten erhebt sich die Frage, ob es in Österreich tatsächlich ein funktionierendes Krisenmanagement am 28. und am 29. September gab. Der Innenminister sagte, daß man seit einiger Zeit von geplanten arabischen Anschlägen auf Auswanderertransporte wußte. Hat man genügend Vorkehrungen getroffen? Hatte man sich darauf eingestellt, wie man bei Geiselnahme reagieren würde? Hat man sich vorstellen können, welche politischen Forderungen die Terroristen an Österreich stellen könnten? Wenn ja, war man dann von vornherein bereit, Schönau aufzulassen und den Transit zu stoppen, zu erschweren? Oder hat niemand daran gedächt, daß es den Palästinensern darum gehen könnte, den arabischen Diplomaten zu beweisen, daß sie mit Maschinenpistolen und Handgranaten erfolgreicher sind als jene? Man hat durch den Beschluß des Ministerrates vier Leben retten können. Da-' für muß man der Bundesregierung Dank sagen. Wer heute in Washington oder in Tel-Aviv demonstriert, bedenkt nicht recht, daß die Rettung von vier Menschen jedes Verhalten erklärt.

Aber dennoch wird die Handlungsweise der Regierung unverständlich, wenn man sich die Frage stellt, warum sie den erpreßten Beschluß nicht seither wieder aufhob! Es entspricht den Normen des Völkerrechts, sich an Beschlüsse unter konkreter Bedrohung nicht halten zu müssen. Spätestens nach der Heimkehr der beiden österreichischen Piloten aus Libyen wäre eine Revision des Ministerratsbeschlusses fällig gewesen: Wir haben alles getan, um das Leben der Geiseln zu retten; aber wir lassen uns nicht erpressen. Wir Österreicher wollen Herren im eigenen Haus bleiben: Und was in Österreich vor sich geht, wird von uns — und nur von uns — entschieden!

Aber der Regierungschef hat bereits erklärt, daß er keine Revision zulassen wird. Österreich wolle nicht Kriegsschauplatz sein.

Aber es ist nicht schwer, die beiden wahrscheinlichen, aber einzig möglichen Varianten — angesichts des arabischen Terrorerfolges — zu skizzieren:

• Schönau bleibt geschlossen; die Einwanderung reißt aber nicht ab. Sowjetische Juden werden demnach in Wiener Hotels und Wohnungen untergebracht. Die Palästinenser werden alles daransetzen, nach ihrem jetzigen Erfolg auch diese Emigration zu verhindern. Anschläge in vielfältigster Form auf die dann in ganz Wien untergebrachten Juden sind wahrscheinlich; nach palästinensischer Ansicht ist die österreichische Regierung ja nunmehr erpreßbar.

• Österreich verhindert auch diese Terrortätigkeit — indem es die Einwanderung sowjetischer Juden zur Gänze verbietet. Die Araber sind am Ziel, Österreich hat seinen Kredit in der Welt als Land des Asyls endgültig eingebüßt.

Aber man scheint weiterhin gefährlichen Trugschlüssen zu erliegen. Die Reaktion vieler Österreicher in diesen Tagen läßt befürchten, daß sich die jahrelange Überbewertung der Innenpolitik nun rächt; Außenpolitik kann man nicht abseits der öffentlichen Meinung — und Kritik betreiben. Man hat in gewissem Sinn den Eindruck, als ob die bevorstehenden Landtagswahlen einen Einfluß auf die Beschlüsse der Regierung - und auf die Reaktion der Opposition ausübten. Tatsächlich ist es so, daß zur Gleichgültigkeit der Österreicher gegenüber der internationalen Reaktion in diesen Stunden auch eine erstaunliche fremdenfeindliche Einstellung kommt: Was geht uns das an? Die Juden und Araber sollen ihre Auseinandersetzung nur nicht hier austragen ...

Aber weil die Leidtragenden dieser Haltung die jüdischen Auswanderer sind, ist es nur zu verständlich, daß die heutige österreichische Reaktion im Ausland als Antisemitismus mißverstanden wird.

Dabei war das Lager Schönau keine problemfreie Angelegenheit. Es ist unbestritten, daß bewaffnete israelische Geheimdienstbeamte auf österreichischem Territorium in und um Schönau amtierten; daß diese Beamten auch den Schutz der Transporte sehr eigenmächtig übernommen hatten; und daß sie im Kontakt mit österreichischen Regierungsstellen ein sehr eigenwilliges Benehmen an den Tag legten; Staat im Staat — fremde Geheimdienste in Österreich.

Freilich ist das in diesem Lande ja auch nichts Neues, und die Ereignisse in Marchegg rechtfertigen gewissermaßen auch die Selbstschutzargumente des Mossad. Aber warum hat man sich da nicht zeitgerecht energisch und unter Hinweis auf österreichische Gesetze an Israel gewandt? Brauchte man arabische Terroristen sozusagen als Vorwand, das ungeliebte Schönau zu liquidieren? — Zumindest wäre eine solche Interpretation der österreichischen Haltung nunmehr allzu leicht möglich.

Noch besteht die Möglichkeit, den Beschluß des 29. September rückgängig zu machen. Die Handlungsfähigkeit der österreichischen Bundesregierung kann durch eine klare Revision wiederhergestellt werden. Kein Leben ist nun gefährdet. Und es ist kein Grund, „Blamage“ zu fürchten; der Ruf Österreichs ist reparabel. Man entscheide sich schnell.

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