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„Vergängliche Macht und Herrlichkeit

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Alles hat seine Zeit, Werden und Vergehen, Sieg und Niederlage, Geburt und Tod. Am Ende ist alles Geschichte und einmal gewesen. Als in diesen Tagen in der Domkirche zu Roskilde in Dänemark König Frederik. IX. zur letzten Ruhe bestattet wurde, mag so mancher aus der tausendköpfigen Trauergemeinde gedacht haben, daß gerade dieser Ort, wie kaum ein anderer, daran zu erinnern vermag, wie vergänglich Macht und Herrlichkeit sein können und wie flüchtig dieses unser Leben ist.

Vierzig Dänenkönige liegen in der Kirche und in den angrenzenden Kapellen begraben. Hier war einmal der Mittelpunkt des Dänenreiches, das unter Knud dem Großen von der Ostsee bis zur Irischen See reichte, das große Teile Schwedens, Norwegens, Norddeutschlands, Englands und der Normandie einschloß. Von hier aus segelten die Söhne der letzten Wikinger über die Flüsse Rußlands und das Schwarze Meer bis tiach Byzanz und nach Zypern; sie wollten das Heilige Land erobern. Hier entstand kurz nach der Jahrtausendwende der erste Bischofssitz Dänemarks. Hier schrieben Mönche die berühmte „Roskildekrönika“, die erste Geschichtschronik des Landes; was vorher war, kann nur aus Mauertrümmern und Grabbeigaben erraten werden.

In Roskilde haben Schwert und Feuer oft Geschichte geschrieben und über die Führung des Reiches entschieden. Es war hier, wo im Jahre 1006 König Knud der Große mit seinem Schwager Ulf Jarl Schach spielte und in Streit geriet, wohl wegen eines mißglückten Feldzuges gegen die Norweger. Als Knud einen schlechten Zug zurücknehmen wollte, warf Ulf Jarl die Figuren um — und wurde deshalb am nächsten Tag von den Knechten Knuds erschlagen, obwohl er sich in das Heiligtum der Dreifaltigkeitskirche geflüchtet hatte.

150 Jahre später kam es hier zu einem ähnlichen blutigen Schachspiel. Nun war es Knud III., der Schach spielte, während Waldemar, den man später den Großen genannt hat, zuschaute, während des Spieles drangen die Knechte König Svends in das Haus und erschlugen König Knud, während Waldemar trotz schwerer Verwundungen in der Dunkelheit entkommen konnte.

Doch nicht alle Erinnerungen sind von düsterer Art. Wenn an diesem

Tag viele Gedanken um die älteste Tochter des verstorbenen Königs Frederik kreisten, die nun unter dem Namen Margrethe II. die Nachfolge auf Schloß Amalienborg angetreten hat, dann denkt man auch an jene erste Margarete auf dem dänischen Königsthron, die hier in der Domkirche zu Roskilde, vor fast 620 Jahren getauft worden ist. Sie war die Tochter des berühmtberüchtigten Königs Waldemar At-terdag und die Taufe war vom Bischof zu Roskilde vorgenommen worden. Diese erste Margarete auf dem dänischen Königsthron verkörperte seltsamerweise einen Teil jenes Einheitsstrebens, das so sehr die Geschichte unserer Tage prägt und gerade für Dänemark eine solche Bedeutung gewonnen hat. Margareta, die dänische Königstochter, war von einer schwedischen Pflegemutter erzogen worden und durch ihre Verehelichung mit König Hakon von Norwegen wurde sie auch norwegische Königin — im Alter von zehn Jahren. Vorher hatte König Hakon, selbst erst 23 Jahre alt, durch einen blutigen Feldzug dazu gezwungen werden müssen, das lange vorher gegebene Eheversprechen einzuhalten.

Doch in der späteren Regierungszeit dieser Königin reiften gewisse Vorstellungen von der Zukunft, die man heute „Skandinavismus“ nennen würde. Der Gedanke von einem Zusammenschluß der Länder Dänemark, Schweden und Norwegen gewann an Boden. Es ist hier nicht der Raum, die einzelnen Phasen der Entwicklung bis in unsere Tage nachzuzeichnen, auch nicht die Epochen der schweren Rückschläge.

Aber ziemlich genau zwischen der Geburt der ersten Margarete und unserer Zeit kam es noch zu einem unglücklichen „Frieden von Roskilde“, durch den Dänemark die reichen Provinzen Schonen, Hailand, Blekinge und die Insel Bornholm verlor, und der lange Zeit als eine „Katastrophe für Dänemark“ bezeichnet wurde, bis man sich langsam an die räumlich enger gewordenen Verhältnisse zu gewöhnen begann.

Es mag trotzdem sonderbar erscheinen, daß gerade in den Tagen der Thronbesteigung Königin Marg-rethes II. ein Teil jener Gedanken verwirklicht wird, die einmal hier vor 600 Jahren ihren ersten Ausdruck fanden. Und daß gleichzeitig erkennbar wird, welche Realität jene Grenze längst des öresunds doch ist, die der Verwirklichung der Unionsgedanken im Wege stand. Bedeutet das Aufgehen Dänemarks und Norwegens in einer größeren westeuropäischen Gemeinschaft die endgültige Abkehr von Schweden und Finnland? Wieder einmal steht man in Roskilde vor einem Ende und vor neuen Aufgaben und neuen Anfängen.

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