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Vier Gebote des Neuen Zeitalters

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Wir leben letztlich und genaugenommen von der Natur. Wir leben nur solange, wie es die Natur gibt. Und wir leben nur in dem Maße, als wir uns nach der Natur als Maßstab richten...

Darum ist das erste Gebot des Neuen Zeitalters: Du wirst die Natur lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken...

Wenn wir heute das erste Gebot so abwandeln, daß wir statt Gott die Natur einsetzen, weil wir erkannt haben, daß es für die Menschheit keine Rettung geben wird, wenn sie nicht anfängt, die Natur mit ganzem Herzen zu lieben, dann tun wir das nicht nur in der Uberzeugung, daß die Natur, wenn sie wenigstens für unsere irdische Weiterexistenz heüsnot-wendig ist, etwas mit Gott und mit seinem Heiland Jesus Christus zu tun haben muß.

Wir tun dies auch in der theologischen Erkenntnis, daß das „wahre Antlitz Christi“ — um Teühard de Chardin zu zitieren -sich in unserer Notzeit dadurch „ein wenig mehr enthüllt“, daß wir begreifen und bekennen: Die Natur ist der geheimnisvolle kosmische Leib Christi.

Wenn wir die Natur lieben, dann lieben wir den in Christus Mensch und Kosmos gewordenen Gott Jahwe, den Schöpfer Himmels und der Erde...

Bevor wir das zweite Gebot des Neuen Zeitalters besprechen, sei eine Zwischenbemerkung eingefügt: Ich halte Teühard de Chardin für eine der überragenden Gestalten des Christentums im 20. Jahrhundert, vielleicht auch des kommenden. Für einige Schriftsteller des New Age gilt er als Vorläufer der New-Age-Bewegung, sozusagen als christlicher Theologe des New Age...

Auf die folgende zentrale Stelle berufen sich New-Age-Anhänger: „... wir (sind) an einen entscheidenden Punkt der menschlichen Evolution gelangt.... wo das einzige Tor nach vorne in Richtung einer gemeinsamen Leidenschaft, einer .Konspiration' liegt... Wir nähern uns trotz aller Fehlschlage und aller Un-wahrscheinlichkeiten einem neuen Zeitalter, in dem die Welt ihre Ketten abwerfen wird, um sich endlich den Kräften ihrer inneren Affinitäten zu überlassen.“

Dieses Teilhard-Zitat, in dem sich New Age und Christentum begegnen und die typische New-Age-Spiritualität, den Geist des Neuen Zeitalters, kreieren, enthält bereits das zweite Gebot des Neuen Zeitalters: Du wirst dich der Energie der Liebe, die das Universum seiner Vollendung entgegentreibt, öffnen und gemeinsam mit den Gleichgesinnten ein Höchstmaß an Güte und Sanftmut verwirklichen.

Das Stichwort bei Teühard und im New Age lautet „Evolution“, das heißt Entwicklung, Entfaltung, Wachstum, Erweiterung, Öffnung...

Sich der Evolution zu öffnen, um die Schöpfung ihrer VoUen-dung entgegenzuführen, ist nur dann erfolgversprechend, wenn wir uns dem Entwicklungsgesetz der Schöpfung öffnen: der Liebe. Als Christen hätten wir schon immer wissen müssen, was die Naturwissenschafter jetzt auch entdecken: Das innerste Gesetz der Wirklichkeit heißt, immer mehr Vereinigung in Freiheit, was auf der höheren Stufe der Entwicklung Liebe heißt...

Das dritte Gebot des Neuen Zeitalters lautet: Da in der Natur alles mit allem zusammenhängt und sowohl die Vergangenheit wie die Zukunft in der Gegenwart Gottes eingefaltet sind, wirst du dein begrenztes Ich-Bewußtsein zu einem unbegrenzten Selbst-Bewußtsein erweitern und daraus selbstbewußt handeln.

In diesem Gebot sind gleich mehrere Stichworte der New-Age-Spiritualität, des Geistes des Neuen Zeitalters, enthalten. In der Natur hängt alles mit allem zusammen. Das ist die Weltanschauung des Holismus. Wenn ich einen positiven Gedanken, WU-lensakt oder eine positive Handlung setze, dann wirkt sich das aus in der letzten Gehirnwindung des letzten Bewußtseinsträgers im letzten Winkel der Welt.

Diese Auffassung der New-Age-Anhänger nimmt unsere letzten Gedanken und Wünsche im stillen Kämmerlein in die Verantwortung für die ganze Welt...

Kommen wir nun zum vierten Gebot des Neuen Zeitalters: An den Früchten wirst du bei dir (und bei anderen) erkennen, ob du die Natur liebst, und zwar daran, ob du deinen Leib, den Leib deines Nächsten und der Fernsten, die Tiere, die Pflanzen, die Landschaft, Luft und Wasser mehr liebst als Dich selbst.

Die New-Age-Bewegung ist nämlich nicht so sehr eine Theorie, sondern sie ist eine Praxis, eine Alltagsweisheit, die sich gründet auf dem animalischen, geistigen und geistlichen ganzheitlichen Instinkt des Menschen, auf Spiritualität, das ist Gespür für die göttliche Dimension der Wirklichkeit. Deshalb ist die New-Age-Mentalität weiter verbreitet als man meint, denn unzählige Menschen in aller Welt praktizieren den neuen Geist, ohne sich dessen voll bewußt zu sein...

Der Autor ist Verlagslektor. Der vorliegende Artikel zitiert einige markante Stellen eines ausführlichen Vortrags bei der 36. Internationalen Pädagogischen Werktagung in Salzburg.

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