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Wie man den Frieden sichern kann"

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Sechs Thesen zur Friedenssicherung beziehungsweise Kriegsverhütung formulierte der deutsche Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker bei einem vom Renner-Institut Mitte November in Wien veranstalteten Round-Table-Gespräch, bei dem Bundeskanzler Krei-sky den Vorsitz führte. Hier Weizsäckers Thesen, dazu sechs Gegenthesen, aufgestellt vom Schweizer Militärexperten Gustav Däniker.

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Sechs Thesen zur Friedenssicherung beziehungsweise Kriegsverhütung formulierte der deutsche Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker bei einem vom Renner-Institut Mitte November in Wien veranstalteten Round-Table-Gespräch, bei dem Bundeskanzler Krei-sky den Vorsitz führte. Hier Weizsäckers Thesen, dazu sechs Gegenthesen, aufgestellt vom Schweizer Militärexperten Gustav Däniker.

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These 1: Ein nuklear geführter Weltkrieg ist wahrscheinlich. 'Er könnte schon im jetzigen Jahrzehnt ausbrechen. Ich mache dazu eine extemporierte Bemerkung: Kurz nachdem die Atombombe und zumal die Wasserstoffbombe aufgetaucht war, war das Erschrecken unter den Menschen groß und man konnte hoffen, es würde vielleicht eine radikale Veränderung der Weltpolitik geschehen, die die Institution des Kriegs überwindet. Heute sind wir weit davon entfernt; wir können glücklich sein, wenn wir für die nächsten zehn Jahre den Weltkrieg verhüten und in zehn Jahren die, die dann kommen, weitersehen werden. Dies ist die Lagebeurteilung, von der ich im Augenblick ausgehe.

These 2: Der allgemeine tiefste Grund der Kriegsgefahr ist genau derselbe, der seit Jahrtausenden Kriege produziert. Er ist nicht neu: gegenseitige Angst. Angst erzeugt den Wunsch, stärker zu sein als der Gegner. Der beiderseitige Wunsch nach Sicherheit durch Stärke führt militärisch zum Wettrüsten, politisch zum Hegemoniekampf. Wettrüsten und Hegemoniestreben jeder Seite steigert die Angst der Gegenseite, geht an die Grenze wirtschaftlicher Unerträglichkeit, destabilisiert dadurch die Gesellschaft und führt die Mächte in Versuchung, die Lösung ihrer so entstandenen Probleme in der Anwendung der angehäuften Gewalt zu suchen.

These 3: Die speziellen Gründe der erhöhten Kriegsgefahr in den achtziger Jahren sind meines Erachtens dreifach:

a) Die Sowjetunion hat vermutlich jetzt das Maximum ihrer relativen militärischen Stärke, verglichen mit dem Westen, erreicht. Die Versuchung wächst — zumal für eine neue sowjetische Führung — die Versuchung nämlich, diese Macht zur Lösung der wirtschaftlich und sozial unlösbaren Probleme ihres Imperiums einzusetzen.

b) Die Atomwaffe ist nicht die Ursache der Kriegsgefahr, die Angst vor ihr hat vermutlich bisher den Dritten Weltkrieg verhindert. Aber die vor allem in Amerika vorangetriebene Entwicklung immer neuer Kernwaffen für spezielle Verwendung steigert die Gefahr, daß diese Waffen einmal eingesetzt werden.

c) Die ganze Welt ist in einer wirtschaftlichen Krise, die das ohnehin ständig wächsende Konfliktpotential in der Dritten Welt weiter verschärft.

These 4: An die Adresse der beiden Supermächte ist zu sagen: Nach dem bisherigen Zeitplan der Rüstungen haben die beiden Supermächte heute nur noch zwölf Monate Zeit, um durch erfolgreiche. Rüstungskontrollverhandlungen eine große politische Krise zu vermeiden. Vordringlich ist eine Einigung über Mittelstreckenraketen in Europa: eine drastische Reduktion der Anzahl der sowjetischen SS-20-Raketen und als Gegenleistung ein vorläufiger Verzicht auf die Stationierung neuer weitreichender amerikanischer Mittelstreckenraketen auf dem europäischen Kontinent.

Für weitere Maßnahmen verweise ich auf das Aktionsprogramm der Palme-Kommission. Besonders sorgfältiges Durchdenken verdient nach meinem Urteil der Vorschlag von Egon Bahr, langfristig die Stationierung von Atomwaffen auf diejenigen Länder zu beschränken, die über den Einsatz dieser Waffen verfügen.

These 5: An die Adresse der Friedensbewegung ist zu sagen: In der Friedensbewegung spricht sich das leider sehr späte Erwachen der europäischen Völker zum Bewußtsein der über ihnen hängenden Gefahr aus. Die Gefahr ist 20, 30 Jahre alt. Man hat die Atempause, die wir durch die Abschreckung gehabt haben, für die Lösung des Problems gehalten und mit Schrecken erkennt man, daß sie es nicht ist. Die Führer der Friedensbewegung müssen sich freilich klar machen, daß die Verhinderung der Stationierung oder des Einsatzes gewisser Atomwaffen noch nicht die Kriegsgefahr vermindert, sondern allenfalls den Schaden im Falle eines Kriegs verhindert. Mehr als dies muß gefunden werden. ."'"> (, \ {

These 6: Nochmals an die beiderseitigen Regierungen: Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, wenn die westlichen Regierungen meinten, sie könnten bei ihren Rüstungsplänen über den Widerstand der Friedensbewegung hinweggehen. Es wäre ein noch verhängnisvollerer Irrtum, wenn die sowjetische Regierung meinte, die Friedensbewegung werde ihr die unerläßlichen drastischen Zugeständnisse in den Verhandlungen ersparen. Beide Irrtümer würden eine gesellschaftliche Destabili-sierung in beiden Hälften Europas zur Folge haben. Ich brauche das Szenario dafür hier nicht auszumalen — eine Destabilisierung, welche die Gefahr des für beide Seiten verderblichen Kriegs in unberechenbarer Weise steigern würde.

Prof. Carl Friedrich von Weizsäcker, Träger des deutschen Friedenspreises, war von 1970 bis 1980 Leiter des Max-Planck-Institutes für Zukunftsforschung in Starnberg.

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