Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Wie normale Nachbarn!
In der Bundesrepublik Deutschland sehen wir Polen einen modernen, demokratischen Staat, in dem viele Menschen - sicher nicht alle—mehrere politische Gruppen und Parteien - sicher nicht alle - und beide christlichen Kirchen viel aus der neuesten Geschichte gelernt haben.
Wir sehen in der Existenz dieses Landes nicht nur eine inzwischen bereits bestätigte Chance auf weitgehende geistige Umgestaltung eines europäischen Volkes, welches sicher eine kurze Periode schrecklicher politisch-geistiger Krankheiten durchgestanden hat, wir sehen auch — vielleicht zum ersten Mal seit einigen Jahrhunderten — die Chance für die Möglichkeit der Polen und der Deutschen, einander näher zu kommen und im Laufe des Abbaues der noch weiter bestehenden Vorurteile sich als normale Nachbarn verstehen zu können, weder als
Feinde noch als Gegner.
Es gab sicher in der Zeit der Entwicklung der Bundesrepublik gewisse Erscheinungen und Probleme, die auch für einen freund- lichst gesinnten Menschen, der den Zweiten Weltkrieg an der Weichsel erlebt hat, nicht verständlich waren. So zum Beispiel die Einstellung zu grausamsten Kriegsverbrechen gegenüber den Juden und Slawen in den fünfziger Jahren, die langjährige Passivität der Justiz, das Verzögern der Gerichte, die oft erstaunliche und unbegreifliche Verharmlosung der Untaten und Verbrechen der NS-Zeit in der öffentlichen Meinung und die Toleranz gegenüber den Tätern.
GleicHkeitig aber gibt es ganze Bibliotheken objektiver und aufschlußreicher wissenschaftlicher Literatur über die NS-Zeit, und Tausende Menschen in diesem Land haben bisher bewiesen und beweisen weiter ihre Zugehörigkeit zu der besten deutschen und gleichzeitig europäischen Tradition des kritischen Humanismus.
Für einen Beobachter aus dem Ostblock ist es auffallend, wie frei die Deutschen in ihrem demokratischen Rechtsstaat leben und wie schön und würdig sie sich in dem tolerantesten deutschen Staat in der deutschen Geschichte entwik- keln können.
Andererseits ist die oft vorkommende Verharmlosung von Gewaltanwendung und nicht demokratischen Methoden im Alltag dieser Gesellschaft kaum zu begreifen. Bedrohlich zu sein scheint auch gelegentlich das Spiel der jüngeren Generation mit der Rechtsstaatlichkeit, das Spiel mit dem falsch ausgelegten Begriff des Rechtes zum Widerstand.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!