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Wiener Drogenrunde

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Schläfrig herumstehende Garderobe-frauen und müde drekiblicikende Herren, die gegen ein Uhr nach ihren Mänteln verlangten — das war zuletzt eine gewohnte Erschednung in der Hofburg. Es hande’lte sich dabei aber keineswegs um abgekämpfte Ballbesucher, die das Fest frühzeitig verließen, sondern um die Delegierten von 72 Staaten, die an der unter den Auspizien der Vereinten Nationen im Kongreßzentrum der Wiener Hofburg stattfindenden Konferenz über die Anmaiime eines ProtokoHes betreffend psychotrope Substanzen (vgl. „Die Furche", Nummer 3/1971) teilnahmen.

Diesem Gremium von Ärzten, Hiar-makologen, Polizeifachleuten,

Außenhandelssachverständiigen und Juristen waren fünf Wochen zur Verfügung gestanden, um den von der Raiuschgiftkommisßion der Vereinten Nationen vorbereiteten Ver-trajgstext zu studieren und durch-zuberaten. Dies erwies sich aber bei der besonderen Schwierigkedt der Materie als außerordenitüich kurz bemessen. Noch am vergangenen Freitag mußten die Delegierten bis zwei Uhr im Sitzungssaal ausharren, und wäre nicht die souveräne, wenn notwendig auch strenge Leitung durch den Präsidenten der

Konferenz, den österreichischen Gesandten Nettel, gewesen, die Schlußakte und das in „Konvention" umbenannte Protokoll hätte kaum am vergangenen Sonntag unterzeichnet werden können.

Die neue Konvention schließt sich in ihrem Aufbau in vielem eng an die New Yorker „Einheitliche Rausch-igiftkonvention" von 1961 an xmd ist auch von vielen Delegierten als Er-gänzunig derselben verstanden worden. Es gab jedoch auch Stimmen, die davor warnten, die psychotropen Substanzen mit den herkömmlichen Rauscihuguften, wie Opium, Kokain, Heroin usw., in einen Topf zu werfen. Während nämUch letztere mit ganz wenigen Ausnahmen keinen von der medizinischen Wissenschaft anerkannten therapeutischen Wert besitzen, finden die psychotropen Substanzen weite medikamentöse Verwendung, so etwa bei der Herstellung von Beruhiigunigsmitteln. Aus diesem Grunde sind der Kcm-vention auch vier Listen angeschlossen, in weiche diese Substanzen unter dem Gesichtspunkt abnehmender Gefährlichkeit und wachsenden therapeutischen Nutzens eingetragen sind. LSD zum Beispiel wurde in die Liste I oiufgenommen, was bedeutet, daß es Mnifort nur nocih In staatlich streng überwachten wissenschaftlichen Institutionen zum Zwecke der Forschung Verwendung finden darf. In der Liste II finden sich hauptsächlich Amphetamine; in der Liste III Barbiturate. Besonders umstritten war die Laste rv, einmal, weil man sich nicht darüber einiigen konnte, ob die nach dem Vorschlag der UN-Rauschgiftkommission dort rangierenden Substanzen entweder überhaupt der Konvention unterworfen oder aber auch in eine andere Kategorie eingereiht wenden sollten.

Es gaib auf der Koniferenz aucäi Stimmen, die eine völlige Auisklam-merung der in den Listen III und IV genannten Substanzen von der iintemiationalen Kontrcjlle befürworteten. Einzelne westliche Industriestaaten waren nämlich der Ansicht, daß eine solche Kontrolle mehr Schiaden als Nutzen anrichten würde, weil ihre ArzneimittelweTfee das Gewicht von Forschung und Erzeuigunig auf andere Substanzen verlagern könnten, die nicht strenge Kontrolle bediinigten und dazu uniter Umständen in Zukunft von Vorbereätungis-beschränkungien oder -verboten betroffen werden könnten, was für die pharmazeutische Industrie milt erheblichen Riisken vtert)undien wäre.

Es waren aber vor allem die auf der Konferenz vertretenen Entwicklungsländer, die aul der Einiführunig strikter Kontrolle auch für diese Substanzen bestanden, wobei vereinzelte Debattenbeiträge den Verdacht aufkommen ließen, daß dies nicht zuletzit als Revanche für die strengen und umfassenden Bestimmungen der Rauschgiftkonvention von 1961 betrachtet wurde, die in erster Linie die Entwicklunigsländer als Hauptlieferanten traditioneller Rauschgifte betreifen. Haupterzeuger psychotroper Substanzen, die durchweg auf komplizierten chemischen Verbindungen beruhen, sind selbstverständlich die hochentwickelten Industrieländer — warum sollte sie jetzt nicht auch die Verpflichtung zu ähnlich strengen KontroHmaßnah-men treffen?

Da die Konvention selibstversitänd-lich nur dann voll wirksam sein kann, wenn sie nicht bloß die gegenwärtig bekannten und erzeugten, sondern auch in Zukunft entwickelte und auf den Markt gebrachte gefährliche Substanzen ihrem Kontrollsystem unterwerfen kann, wuixle ein eijgener Mechanismuis geschaffen, der es der Rauschgifttoomnnisslon der Vereinten Nationen möglich macht, über Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation neue Drogen in die entsprechende Liste aufzunehmen. Eine solche Entscheidung der Kom-miission umterldeglt über Antrag eines Staates der Überprüfung durch den Wirtschafits- und Sozialrat. PoKiHsche BeĘileitmusiik klang vor allem bei der Behandlung von Artikeln auf, die zu den sogenannten Schlußbestimmungen der Konvention zählen und in ‘albgewandelter Form in jedem internationalen Vertragswerk dieser Art zu finden sind. Der Ostblock forderte wieder einmal ein Abgehen von der „Wiener Formel" (so genannt seit der Wiener Diplomatenrechtskonvention 1961), welche eine Teilnahme an einem völkerrechtlichen Vertrag lediglich einem begrenzten Kreis von Staaten, die in bestimmter Beziehung zu den Vereinten Nationen stehen müssen, gestattet, und verlangten, daß die Konvention wegen ihres rein humanitären Charakters allen kooperationswnlliigen Staaten offenstehen müsse — also auch etwa der DDR. Dieser Antrag verfiel ebenso der Ablehnung wie eine in dieselbe Richtung gehend« Deklaration, die den Wirtschafts- und Sozialrat hätte ersuciien sollen, durch Einladungen zum Beitritt die Konvention allen Staaten zugänglidi zu machen.

Es wäre heute verfrüht, feststellen zu wollen, welche Auswirkungen die neue Konvention auf die nationale österreichische Gesetzgebung haben wird. Teilnahme an einer inter-naitionalen Konferenz und innerstaatliche Durchführung ihrer Er-gebniisise sind nämlich zweierlei, wie die Tatsache, daß österre’ich bis heute nicht Vertragspartei der Rauschgiftkonvention von 1961 geworden ist, zeiigt. Ob sich diese Haltung in absehbarer Zuloioft ändert, wird wohl entscheidend davon beeinflußt sein, ob und inwieweit die internationale Suchtgiiftwelle auch die österreichischen Wasser in Bewegung bringt.

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