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Woran wir leiden

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Die 30. Sommertagung des Katholischen Akademikerverbandes in Salzburg mit dem Tagungsthema „Woran wir leiden“ schien den Charakter eines philosophischtheologischen Seminars anzunehmen, bei dem das Problem des Leidens, die Fragen des „Warum und Wozu“ in ungestörter Atmosphäre und stoischer Art neu aufgehellt werden sollte.

Als Theologe stellt Professor Notker Füglister am Beginn die Frage nach den Ursachen des Leidens. Für ihn gibt es nach der traditionellen Theologie zwei: Die Allursächlichkeit Gottes und die Schuld des Menschen.

Der monotheistische Gott der Bibel ist nicht nur ein transzendenter, sondern auch ein geschichtsimmanenter Gott, der über allem wacht und in allem und durch alles wirkt: Auch im Bösen und Leidvollen ist Gott am Werk. In Hiob wird der Mensch deshalb zum Ankläger Gottes. Versuche, Gott von Anschuldigungen zu entlasten, blieben nicht aus. Ein solch „frommer“ Entlastungsversuch wäre der Teufel. Im Neuen Testament spielt er eine wichtige Rolle: Er ist der „böse Feind, der für das Böse in all seinen Formen verantwortlich gemacht wird“. Eine Lösung, die keine ist, weil sie das Problem des Bösen verschiebt und, anstatt es aus der Welt zu schaffen, noch verschärft. Will man an der Allursächlichkeit Gottes festhalten, kann der Teufel nichts anderes sein, als ein Werkzeug des allgegenwärtigen und allwirksamen Gottes.

Die für die christliche Theologie wegweisende Antwort wurde bereits im 10. Jahrhundert vor Christus formuliert. Damals dichtete der „Jahwist“ in Genesis 3 die unüberholte Urätiologie für die Existenz des Bösen in Gottes guter Schöpfung. Alles Böse im Menschen und um den Menschen ist zurückzuführen auf die Sünde. Sie bewirkt einen Riß zwischen Gott und Mensch, und dieser Riß setzt sich fort; er zerstört die Integrität des Menschen, die der zwischenmenschlichen Beziehungen und des gesamten menschlichen Lebensraumes.

An dieser Stelle setzte die marxistisch-atheistische Religions-Kritik ein, erläuterte Professor Heinz Schlette. Mythische Ätiologien lehnt der atheistische Marxismus radikal ab. Diese dienten nur dazu, dem Leiden in der Weltinterpretation eine außerordentliche Funktion zuzubilligen. Der Atheismus entsteht erst eigentlich am menschlichen Leiden, dem Ärgernis schlechthin und motiviert und mobilisiert zum heroischen Kampf gegen das Leiden und für seine totale Abschaffung.

Dann aber wurde in den Referaten von Ferdinand Klostermann und Erwin Ringel zwingend deutlich, woran der Christ auch leiden muß: an der Kirche und an der wachsenden Vereinsamung und Selbstmord-Gefährdetheit des modernen Menschen. Der Pastoral- theologe sprach von einem einzigen legitimen und notwendigen Leiden an der Kirche, das seinen Grund im Auseinanderklaffen von Kirche und ihrer Praxis einerseits, und Jesus von Nazareth anderseits hat. Eine totale Identifikation mit einer solchen darf es letztlich nicht geben. Sie würde die „sündige“ Kirche verewigen und die notwendige christliche Metanoia verhindern. Hinter der gegenwärtigen Glaubenskrise verbirgt sich vielfach nur die Krise einer längst überholten Theologie, hinter der Krise der Einheit nur ein uniformistisches Kirchenkonzept, hinter der Krise der Liebe die totalitäre Ablehnung jeder Kritik und Reform. So manche verdunstende Kirchlichkeit ist ein Zeichen sich wandelnder Ausdrucksformen des Glaubens.

Resignation und Emigration der Kirche ändern nichts, bekannte Klostermann. Notwendig ist eine permanente Reform der Gesinnung und der Struktur. Die Kirche muß dauernd nicht nur auf ihre Zeitgemäßheit, sondern auch auf ihre Evangeliumsgemäßheit geprüft werden. Dazu ist eine kritische Theologie vonnöten. Erst wenn die innerkirchliche Offenheit für den Geist da ist, wird die Kirche auch nach außen hin überzeugende und neue Kraft sein.

Der Psychiater Ringel sieht in dem Wort „Christentum ist Humanismus plus Christus“ einen konkurrenzlosen und unüberbietbaren Anspruch, dem sich die Christen endlich stellen müßten. Das wäre dann das notwendige Ferment für die notwendige Reform unserer Gesellschaft.

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