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Die technische Ausrüstung der österreichischen Papierindustrie

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Die österreichische Papierindustrie, die nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie auf dem Boden des neuen österreichischen Staates zwei Drittel der gesamten Papierindustrie vereinigte, sah sich ihres großen Absatzgebietes für etwa 50 Millionen Menschen beraubt. 50 Prozent ihrer Erzeugung mußte in das nunmehrige Ausland, in die Sukzessionsstaaten Ungarn, Jugoslawien, Polen usw. gehen.

Schon damals war der technische Vorsprung feststellbar, den das neutrale Ausland während des Krieges gegenüber der maschinellen Ausstattung der österreichischen Papierindustrie errungen hatte. Der Maschinenpark verfiel, der Export ging immer mehr zurück, an großzügigen Industriepionieren fehlte es. Kurze Konjunkturepochen brachten zu wenig Kapital, so daß Ausbauansätze stecken blieben. Der zweite Weltkrieg holte die letzten Reserven aus den Maschinen. Daher war die Frage nach Beendigung dieses Krieges für die meisten Unternehmungsleitungen nicht die, ob man durch eine allfällige Modernisierung der Anlagen eine höhere Rendite herausholen könnte und sollte oder nicht — die Problemstellung ging tiefer. Sie wurde zu einer Existenzfrage der österreichischen Papierindustrie, für die es nur zwei • Alternativen gab: Entweder durchgreifende Erneuerung eines total veralteten Maschinenparks oder auslaufen lassen und Zusehen, inwieweit die Preis- und Absatzlage noch ein Stillegen hinauszuschiebeh gestatte.

In einer solchen Situation ist es begreiflich und kann so nur von schlecht orientierter Seite als Leichtsinn bezeichnet werden, wenn die österreichische Papierindustrie nach Marshall-Plan-Kre- diten in einem Ausmaß griff und dadurch in eine Verschuldung geriet, die die normale wirtschaftliche Tragfähigkeit zu übersteigen schien.

Während die Zellstoffindustrie als Rohstofflieferant der Papiererzeugung relativ leicht auf konkurrenzfähige Höhe gebracht werden könnte, erzeugte unsere Papierindustrie in 31 Fabriken mit etwa 70 Papiermaschinen bloß 240.000 Tonnen jährlich. Vergleichsweise sei festgestellt, daß die Konkurrenz des Nordens oder Kanadas etwa die gleiche Menge Papier in ungefähr ein bis drei Fabriken auf bloß 20 Papiermaschinen und dementsprechend viel wenigeren Arbeitskräften erzeugt.

Diese Zahlen mußten alarmierend wirken, wenn wir unsere wirklich bodenständige Industrie, deren Existenzberechtigung in unseren Nadelwäldern und Wasserkräften liegt, nicht zugrunde gehen lassen wollten. 1949 wurde ein durchgreifendes Ausbauprogramm mit ERP beschlossen. Es sah 1.007,000.000 S Aufwand vor, bei etwa 30 Prozent Eigenfinanzierung. Heute können wir folgende Ergebnisse des bisherigen Ausbaues feststellen und herausgreifen:

Die Energie- und Wärmeanlagen fast aller größeren Fabriken wurden durch Aufstellung modernster Hochdruckkessel und Dampfturbinen in den Stand gebracht, billigeren Dampf und Strom zu liefern, wobei auf die Einrichtung zur Ausnützung einheimischer Kohlen und österreichischen Heizöles Bedacht genommen wurde. Es waren zirka 15 Kesselanlagen, teilweise mit Energieaggregaten ausgestattet, die insgesamt über

300,000.000 S verschlangen.

Neue Papiermaschinen kamen aus Deutschland und zwei aus Amerika. Unsere heimische aufblühende Papiermaschinenindustrie beteiligte sich rege — vielfach in Zusammenarbeit mit deutschen und amerikanischen Maschinenfabriken — an der Versorgung unserer Industrie mit modernen Aggregaten. Schon laufen drei neue Papiermaschinen in Niederösterreich, vier neue in Oberösterreicb, fünf neue in der Steiermark und eine neue in Kärnten. Drei seit Jahren stillstehende Papiermaschinen wurden, nach Umbau wieder in Betrieb gesetzt und zwölf Papiermaschinen wurden weitgehend modernisiert. Nach Einlaufen aller dieser Maschinen ist die Papierproduktion von 240.000 Tonnen vor Beginn des Ausbaues auf 350-000 Ton-, nen nach Vollendung des Ausbaues jährlich gestiegen. Die österreichische Papierindustrie verfügt in jäher Verjüngung über modernste Anlagen. So läuft in der Steiermark die modernste Zeitüngs- druckmaschine Mitteleuropas, die ihre Produktion mit einer später gedachten Vergrößerung der Trockenpartie auf etwa 180.000 Kilogramm pro Tag steigern wird. Die Geschwindigkeit dieser Maschine wird dann allerdings über 400 Meter pro Minute liegen. Dem sei gegenübergestellt, daß die bisherige, das heißt vor Beginn des Ausbaues auf einer Maschine der österreichischen Papierindustrie erzielte Höchstproduktion etwa 35.000 Kilogramm betrug und deren Geschwindigkeit bei etwa 220 Meter lag. Auch die der Papiererzeugung vor- und nachgeschalteter Maschinen und Einrichtungen wurden modernisiert.

Noch läßt sich der gesamte Ausbauaufwand der Papierindustrie und ihrer Halbstofflieferanten nicht genau erfassen, doch ist die Milliardengrenze durch die seit 1950 eingetretene Kostenethöhung und Vervollständigung des ursprünglich erstellten Investitionsprogrammes bereits erreicht und sicherlich nach Vollendung des Ausbaues und der Aus-

finanzierung mit zirka 400 Millionen Schilling überschritten. Eine neue Spezialpapiermaschihe wird noch in diesem Jahre aufgestellt.

Die den neuen Maschinen und ihrer Bedienung zufallencie Aufgabe ist gigantisch. Gilt es doch nicht nur deren Abnützung, sondern auch deren Bezahlung durch Tilgung des ERP-Kredites zu verdienen. In der maschinellen Erneuerung wurden teilweise neueste Wege beschritten und neueste Typen angeschafft, die ohne Erfahrung oder europäische Bewährung hoffentlich die erwarteten Erfolge bringen werden. Die Geschicklichkeit der österreichischen Papiermacher, die auf alten, ausgemergelten Maschinen schier unglaubliche Qualitätserzeugnisse und Produktionsmengen erzielten, läßt die Hoffnung berechtigt erscheinen, daß sie auch auf diesen Monstra modernsten Maschinenbaues nicht enttäuschen werden. Der Griff ins Modernste stellt dem Wagemut und Fortschrittsgeist das beste Zeugnis aus. Die österreichischen Papierindustrien wissen zu gut, wie lange sie auf eine Möglichkeit zur Erneuerung ihrer Anlagen warten mußten und können daher ahnen, wie lange sie wieder auf eine solche warten müssen. Die Amortisation der eingegangenen Kredite wird sicherlich 15 bis 20 Jahre in Anspruch nehmen,, wenn nicht eine besondere Konjunktur ein rascheres Tempo ermöglicht.

Ergänzend sei noch gesagt, daß die österreichische Papierindustrie ihre Sulfitpapierzell- stoffabriken in weiser Erkenntnis, daß unser über- forderter Wald nicht noch mehr Holz liefern könne, bloß erneuerte oder rationalisierte, aber nicht nennenswert vergrößerte oder gar neue errichtete. Nur in der Natronzellstoffindustrie, die für Oesterreichs Bedarf zu klein war und deren Erzeugungsverfahren die rationellste Verwertung von Abfallholz und Kieferstämmen ermöglicht, wurde eine vorhandene Fabrik in ihrer Kapazität verdoppelt und eine neue mit über 100 Tonnen Tageskapazität errichtet. Der Kostenaufwand für diesen Sektor der Zellstofferzeugung wird allein über eine Viertelmilliarde des gesamten oben angeführten Investitionsvolumens von etwa 1.400,000.000 S ausmachen.

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