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Fortschritt im Sekt ertränkt

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Etikettenschwindel Menschenrecht - nach Lösch-nak dürfen wir wieder von Einem erwarten, daß sich etwas ändert.

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Etikettenschwindel Menschenrecht - nach Lösch-nak dürfen wir wieder von Einem erwarten, daß sich etwas ändert.

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In Wien beginnen sich österreichische Jugendliche mit türkischem Reisepaß im Umfeld der ultranationalen „Grauen Wölfe” zu organisieren. Auch die Kopftuchdebatte fällt nicht von Allahs Himmel.

Ausgrenzung ist das Gegenteil von Integration. Löschnaks Aufenthaltsgesetze sprechen eine deutliche Sprache. Die Erfahrung permanenter Benachteiligung und Unerwünschtheit läßt Achmet bei nationalen Symbolen des Landes Zuflucht suchen, das er höchstens vom Urlaub kennt. In Österreich geborene wie aufgewachsene Jugendliche türkischer Zuwanderer verstehen sich plötzlich als überzeugte „UrTürken”. „Wenn der österreichische Staat meine Eltern im Halbjahresrhythmus schikaniert, meine verheiratete Schwester ständig um die Aufenthaltsgenehmigung ihres Mannes zittert, meine Freunde beim kleinsten Jugenddelikt nach Anatolien abgeschoben werden, wem soll ich da vertrauen?”

Ausgrenzung scheucht die einen um ihrer Identität willen in die nationalistische oder fundamentalistische Wärmestube, die anderen bestätigt sie in ihrer Differenzwahrnehmung, weil wir's ja schon immer gewußt haben. Löschnaks Paragraphentexte treiben die Menschen im Land auseinander. Diskriminierung fördert Ausländerfeindlichkeit. Zu behaupten, daß mit politischen Signalen der Desintegration brennende Asylheime verhindert wurden, ist so lächerlich wie Antisemitismus mit Judendiskriminierung bekämpfen zu wollen.

Die zukünftige Herausforderung in der sogenannten Ausländerfrage, die in Wirklichkeit eine Reichtumsund Demokratiefrage ist, liegt in der ethischen Grundposition, daß Bürger- wie Menschenrechte nicht durch einen Reisepaß aussetzbar sind. Der Mensch ist Mensch über die Staatsbürgerschaft hinaus. Seine grundlegenden Rechte erwirbt er nicht durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur oder einem Volk, sondern durch sein Mensch-Sein an sich. Mit seiner Familie zu-

sammenleben zu dürfen, vor Mietenwucherern geschützt zu sein oder eine klare Aufenthaltssicherheit zu haben, all das sollte mit dem Menschen mitwandern.

Diese Rechte an der Grenze abgeben zu müssen, führt nicht nur zu humanitären Skandalen, es weist auch auf ein eklatantes Demokratieloch hin. Menschenrechte sind solange Etikettenschwindel, solange sie eigentlich nur Staatsbürgerrechte sind. Wenn Menschenrecht am Menschen „kleben” soll und nicht am Reisepaß, also einem Ortsprinzip und keinem Blutsrecht folgt, dann müssen dort, wo ich den Mittelpunkt meiner Lebensinteressen habe, auch meine Rechte und Pflichten zu Hause sein. Dieses Prinzip der Wohnbürgerschaft harrt aber solange einer politischen Umsetzung, solange die Demokratiegrenze mit der globalen Armutsgrenze zusammenfällt.

Die westliche Wohlstandsparty findet hinter verschlossenen Türen statt, was das Klima drinnen auch so stickig macht. Während das Gerangel am Büffet an Brutalität gewinnt, wird der zivilisatorische Fortschritt

eines globalen Wohnbürgerschafts-modells im Sektglas ertränkt. Diejenigen, die den Clubausweis verwehrt bekommen, dürfen zwar Butterbrote streichen, können aber jederzeit je nach Laune der. Clubmitglieder vor die Tür befördert werden. Mit allem drum und dran. Auch wenn sie im Haus um Schutz gebeten haben, oder seit Jahren mit ihren Kindern im feuchten Keller wohnen.

Dabei würde Achmet in Österreich gerne sicher leben. Und einfach fair behandelt werden. Der Autor ist

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